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Alphabeth einer Denkerin oder Denker-Alphabeth

  • Autorenbild: Sylvie Bantle
    Sylvie Bantle
  • 11. März
  • 52 Min. Lesezeit

A wie Angst

B wie Bedeutung (Behinderung, Blindheit)

C wie Christus (Charme, Charisma)

D wie Demut (Dialog, Dualität)

E wie Erinnerung (Ehrlichkeit, Eifersucht, Ende)

F wie Freundschaft (Friede, Freisein, Feuer)

G wie Glück (Gnade, Gleichgewicht, Glaube, Gerechtigkeit, Geld, Gier)

H wie Harmonie (Horiziont, Halt, Hoffnung, Hass)

I wie Ignoranz (Intuition, Irrtum)

J wie Jenseits (Jugend, Jour xe)

K wie Krieg (Katastrophe, Kreativität)

L wie Liebe (Laster, Leidenschaft)

M wie Mutter (Masse, Macht, Mond)

N wie Niemand (Nichts, Neid, Naivität)

O wie Optimismus (Orientierung)

P wie Planet (Pein, Plage)

Q wie Quadrat (Querdenker, Quecksilber, Quacksalber, »Quickselber! Quoksulber…«)

R wie Recht (Realität, Richtigkeit)

S wie Stagnation (Schlaf, Schlange, Sonne, Streit, Sehnsucht)

T wie Trost (Traum, Trance, Tanz, Transzendenz, Tod)

U wie Universum (Untergang, Ursache)

V wie Vergessen (Verzwei ung, Verrat, Vielfalt, Vernunft)

W wie Wahrheit (Wasser, Wirklichkeit, Wirkung, Wunder)

X wie Xylophon

Y wie You (Ypsilon, Yoga)

Z wie Zweifel (Zuneigung, Zwang, Zwist, Zauber)


A wie Angst

(aus Simsalabim, Ordner ‘Lieber blind‘)

Rezeptur zur Überwindung der Angst

Angst!

…?

Angst ist falscher Glaubenssatz!

Angst ist Trennung.

Angst verhindert Kontakt… unterbricht Verbindung…

Angst annehmen ist wohl die schwerste Übung in der Tätigkeit als Mensch…?

In täglicher Angstüberwindung muß das Geheimnis der Entwicklung liegen, weil ohne

Angstüberwindung kein Fortschreiten statt nden kann, vielmehr lediglich ein ewiges

Zaudern vor den Hürden. Hier läßt es sich dann gut träumen, wie es wär, wenn die Angst

nicht wär…

Wie es wär, wenn die Angst überwunden wär, indessen, davon will man nicht träu-

men, denn das würde ja voraussetzen, von dem großen Gegner ‘Angst‘ zu wissen…

Und plötzlich wird man wachgerüttelt… von wem? Es ist die Angst persönlich, die ei-

nen weckt und den schönen Schlaf stört; sie ist überall.

»Geh weg!« sagt der erschrockene Mensch, »Laß mich in Ruhe!«

Er läßt sich viele Dinge einfallen, ja er wird höchst er nderisch bei der Prozedur, die-

ser, nein, nicht dieser, sondern seiner eigenen Angst zu entrinnen. Unentwegt muß er Me-

thoden er nden, sich selbst zu betrügen, denn es ist ja ganz allein seine Angst und nicht

die eines anderen! Und darauf so sehr konzentriert, mag er völlig versäumen zu erkennen,

was sie wirklich ist, die Angst, wirk-lich… was dahinter wirkt, das sie antreibt, sich einem

mit solcher Macht entgegenzustellen…

Hier wird kein Künstler geboren.

Die Kunst der Angstbegegnung besteht nämlich darin, zu erkunden, was durch sie

wirkt:

Die Hemmung vor dem Schritt!

Lasse ich die Hemmung siegen, muß ich ihr meinen Schritt und die damit verknüpfte

Erfahrung opfern…

Wenn dies herausgefunden ist, wird sich alles ändern. Alles, was falsch war im Leben.

Denn der Mensch darf nicht stehenbleiben! Er muß fortschreiten wie die Gestirne am

Himmel…

Seht doch nur, die Götter machen es uns vor!


B wie B e d e u t u n g …

(aus Simsalabim, Ordner ‘Lieber blind‘)


Ist Bedeutung nicht eine sehr persönliche Angelegenheit?

Denn, ist es überhaupt möglich eine Pauschal-Liste von Bedeutungen zu erstellen?

Wie: Reisen… Karriere… Liebe zum Partner, Freunde… Geld… den Armen helfen, Ko-

chen, Putzen, Waschen, Nähen, Tanzen, Wandern, Beten… Sex… Singen, Gartenarbeit…

Auto, Segelyacht, tolle Figur… Schönsein… Beliebtheit… Beziehung… Ehrlichkeit… Ver-

trauen oder Erfolg…?

Bedeutung ndet doch nur in einem selbst statt: Etwas wird bedeutungsvoll, weil es

mein Herz sagt, mein innigster Verbündeter! Alle anderen sagen vielleicht Nein! Und

trotzdem, meine innere Stimme sagt: Ja, das stimmt so! Also hat es für dich Bedeutung!

Kann denn jemals etwas für mich bedeutungsvoll sein, nur weil mich ein anderer da-

von überzeugt? Und sei es mein bester Freund, meine Mutter oder mein Vater, die Gesell-

schaft oder die Kirche, die Gurus und die Großen und Tollen und Erfolgreichen…

Das Motto ‘Die Masse gibt recht‘ kann demnach nur für den gelten, der keine innere

Stimme vernimmt und sei es ‘nur‘ im Traum, und daher in der Masse bleiben will, selbst

wenn er etwas anderes meint.

Im Leben Bedeutung nden! Wird es mit dem moderner werden und fortschrittlich

sein nicht gar zu einem schier unmöglichen Unterfangen? Wir erwarten doch, daß die Be-

deutung zu uns kommen soll, uns in den Schoß fällt!? Vielleicht liegt darin der große Irr-

tum, weil es anders formuliert werden muß: Dem Leben eine Bedeutung geben!

Ich male ein Bild:

…eine alte Indianerin sitzt vor ihrem Wigwam, schüttelt aus einer Blechdose alte Kno-

chen in den Sand und fängt an zu deuten…

Und bei allem, was ich von den Vielen gelesen und gehört habe, die vor mir und in mir

lebten, muß es für den modernen Menschen die schwierigste P icht seines Alltags sein,

und ich selbst kann bereits davon berichten, von der verzweifelten Suche nach Bedeutung.

Die Anstrengung läßt sich allzu gerne vom Ego kommandieren… und schon sitzen wir

erneut in der Falle: Im Außen wird uns ‘Bedeutung‘ zerti ziert, aber im Innern bleibt es

still.

…Manchmal tauchen Schmerzen auf, dann Angst…

Und trotzdem fühlt es sich ungemein beruhigend an, wenn mir das Außen auf die

Schulter klopft und bestätigt, daß alles in Ordnung ist: »Gut! Weiter so!« oder: »Mensch

bist du toll!« Das bekommt doch Bedeutung…? Aber hat leider nur bis zu den Ohren.

Ich male noch ein Bild:

…ein Börsenmakler aus New York macht den ersten Urlaub seines Lebens und fährt

mit dem Wohnmobil über Land… er sieht eine alte Indianerin vor ihrem Wigwam sitzen

und schießt ein Foto… Später zu Hause zeigt er seinen Bekannten und Freunden das tolle

Foto von dem exotischen Motiv: Eine alte Indianerin sitzt vor ihrem Wigwam, ganz darin

vertieft, eine Handvoll Knochen im Sand zu deuten!

Vielleicht lachen einige der Börsenmaklerfreunde über die Naivität, Knochen im Sand

zu deuten…? Oder sie halten es für Hokuspokus… Zauberei… aber wahrscheinlich


kommt keiner der Finanzgenies und Supererfolgreichen auf die Idee, daß sie hier ein Bei-

spiel der Demut vor sich haben.

Die alte Indianerin wird sicherlich nicht von den Knochen im Sand wissen wollen, ob

der Börsenmakler aus New York, der sie fotogra ert hat, weiterhin Gewinne macht! Sie

will etwas über den Zustand des Augenblicks wissen, um zu erfahren, wie die Qualität

der Zeit ist, ob sie reif ist aufzubrechen oder dazubleiben oder gar zu sterben…?

Kann Deutung überhaupt positiv oder negativ sein? und demnach die Bedeutung?

Wenn ich jemanden nach der Uhrzeit frage, gibt es bestimmt keine Uhrzeit auf dem 24-

Stunden-Zifferblatt, die von grundauf negativ oder positiv ist; sie sind alle gleich, es sei

denn ich bin zu spät dran! Oder viel zu früh! Aber das liegt nicht an der Uhrzeit, sondern

an mir.

Wenn nun die alte Indianerin vor ihrem Wigwam in den Knochen deutet, daß es für sie

nun bald Zeit ist, diese Welt zu verlassen, würde der Börsenmakler diese Deutung absolut

negativ bewerten. Für die alte Indianerin ist es weder negativ noch positiv, sie erkennt

darin lediglich den Stand der Dinge, von denen sie ein Teil ist. Sie kann sich das mit ihrem

Willen nicht aussuchen, weil sie doch hier die Wahrheit erfährt! Und die läßt sich nicht

manipulieren - das weiß die alte Indianerin vor ihrem Wigwam. Der Blick in die Knochen

ist ihre Art, in Verbindung mit der Zeit zu treten, so wie ein Bauer den Himmel und die

Erde betrachtet und sagt: »Jetzt ist es Zeit zu säen… jetzt ist es Zeit zu düngen… jetzt ist es

Zeit zu ernten…«

Gelangt man also durch die Übung der Demut auf den Pfad zur Bedeutung?

Der moderne Mensch hat es damit wirklich am schwersten! Längst hat er das Wichtigs-

te vergessen, meint nun, die Bedeutung sei ein Objekt, das es zu entdecken gilt und sich

aussuchen läßt wie die Automarke oder das Schuhmodell oder eine Abenteuerreise, und

irrt in der Hoffnung, seine Vorstellungen mögen sich erfüllen, seinem Ego hinterher, das

ihm vielversprechendes vorgaukelt, und ihn niemals in Kontakt mit seiner Seele bringt…

Be-deutung…? Meint es ‘lediglich‘ das, was mit Deutung be-haftet ist? …also gedeutet

wird? …be-deutet! …mit Deutung versehen… Macht das Gedeutete deshalb Sinn, weil

man sich selbst dazu in Be-ziehung setzt?

Sein Leben be-deuten! Das ist Arbeit. Ein bedeutungsvolles Leben muß nicht unbe-

dingt für alle Welt im Außen sichtbar sein! Keineswegs!

Wie gerne läßt man sich vom Kitsch verführen und stellt sich rauschhafte Seins-Zu-

stände vor mit allem Drum und Dran von weltfremden Phantastereien, was positiv und

was negativ ist… Kennt denn die Seele positiv? …oder negativ? Der moderner Verstand

kann sich nur falsche Vorstellungen vom Lohn eines bedeutungsvollen Lebens machen!

Denn: Es ist im ersten Moment ziemlich ernüchternd! Aber irgendwann antwortet die See-

le, die weder gut noch schlecht kennt, sondern nur richtig und falsch…


…auf einmal bekommt etwas Bedeutung!

Seit Jahrzehnten deute ich an einer bitteren Speise herum, die mir das Schicksal gleich

zu Beginn des Lebens verabreicht hat und seitdem ihr Unwesen treibt mit mir… vergeb-

lich deutete ich, bis zu diesem Tag, da ich schon seit dem Morgen über ‘Bedeutung‘ nach-

denke…


…das neunjährige Mädchen spürt so eindringlich, daß etwas nicht stimmt, Gefahr in

der Luft hängt… dabei müßte doch eigentlich alles stimmen! Die Mutter hochschwanger

serviert wie immer das Essen… der Vater wohlgenesen von seiner schweren Krankheit

sitzt an seinem üblichen Platz, er war gerade von der Kur heimgekommen… aber nicht

allein, sondern mit einem Kurschatten! Die stumme Träne, die ihm über die Wange

huscht, zeugt von der Gefahr… auch wenn das neunjährige Mädchen nichts von der Ge-

liebten weiß, die der Vater in seiner mehrwöchigen Kur kennen- und liebengelernt hat,

fühlt es deutlich die Bedrohung der Familie, ihrer wenngleich fragwürdig ‘heilen‘ Welt.

Da wurde es plötzlich in der Magengrube ganz dumpf und hohl… die Dumpfheit drohte

sich nach unten und nach oben auszubreiten… Daß die Mutter zum Vater hinter ver-

schlossener Tür gesagt hat: »Du verläßt keine schwangere Frau!« sollte jenes neunjährige

Mädchen erst dreißig Jahre später erfahren… dazwischen lagen harte Jahre der endlosen

Wiederholungen jener unbestimmten Gefahr, die sie wie ein Dämon verfolgten…

Der Dämon, wie heute jeder Psychologie-Interessierte weiß, war jene unausgesproche-

ne Geliebte, die den Vater unter einen mächtigen Schleier zog. Hätte er seinem ehrlichen

Gefühl gehorcht, hätte er die schwangere Mutter und die zwei kleinen Töchter verlas-

sen… aber wie wäre er dann dagestanden…?? Eine hochschwangere Frau verlassen!! Als

katholischer anständiger Ehemann?! Nein, das tat er nicht, der Ehre wegen - seiner! Doch

die Konsequenz dieser Entscheidung trug er nicht… oder war es gar keine Ent-scheidung?

Denn sonst hätte er doch die Verantwortung dafür übernommen…!? Wenn er sich für die

hochschwangere Frau entschieden hat! …? Da war also die Lüge verborgen, in Form einer

ständigen Vibration in der Luft, daß etwas im Argen ist… daß etwas nicht stimmt… Eine

Energie wurde einem unsichtbaren Magneten gleich geopfert, die doch der Familie gehö-

ren sollte. Wem denn sonst? Wenn die neunjährige Tochter zum Vater irgendwann gesagt hätte, er solle endlich zu seiner Entscheidung stehen, die Geliebte opfern und mit seinen Gefühlen ganz hier sein, er hätte sie dafür wahrscheinlich totgeschlagen… nichts in der Welt hätte ihn dazu gebracht, dies einzugestehen, zu diesem - seinem! - Irrtum zu stehen!

Jener arme Vater hat bestimmt gemeint, ein bedeutungsvolles Leben müsse im Sichtba-

ren demonstriert werden, und so hat er sich bemüht, bloß niemals mit seinem Innersten in Berührung zu kommen, denn dort wartet das Leiden seiner Seele auf ihn und davor hat er Angst…

Wohl wird er diesen Ort erst kennenlernen, wenn er diese Welt verläßt…


F wie Freundschaft


Heute bin ich nicht glücklich - ich denke über Freundschaft nach…

Wer kann mir sagen, was Freundschaft ist?

…Es war einmal ein schöner Indianer lm… Ein Weißer und ein Indianer werden Freunde. Da

sind nicht nur die äußeren Umstände, die zwei so unterschiedlich geprägte Menschen in

Freundschaft bringen. Da sind auch die inneren Stimmen, die den Weißen sowie den India-

ner zum Fühlen bringen, und nicht nur das, diese inneren Stimmen führen zurück bis zur

Urstimme der Menschheit. Diese Urstimme spricht von der gemeinsamen Mutter, kennt sie

sogar. Dort gibt es nur eine einzige Sehnsucht: das Wohl ihrer Kinder! Diese Urstimme ist

mächtig - mächtig über den, der sie hört.

Weil der Weiße diese Urstimme hört, verliert er die Zugehörigkeit zu seiner weißen Gesell-

schaft. Und gleichzeitig ndet er die Zugehörigkeit zu einem fremden Indianerstamm, der

dieser Urstimme noch einen Platz in ihrer Mitte gewährt. Eines Tages reitet der Medizin-

mann mit dem Weißen hinaus in die Prärie und sagt zu ihm: »Im Leben eines Menschen

gibt es nur eine wichtige Entscheidung: der Weg des Menschseins.« Und beim Besteigen

der Pferde sagt er noch: »Es ist schön, daß du dich nun für diesen Weg entschieden hast.«

Dann reiten sie zurück zum Lagerplatz…

Einen Indianer gibt es dort, der die größten Schwierigkeiten hat, den Weißen zu akzeptie-

ren oder gar in sein Herz zu schließen; am Ende aber ist er sein innigster Freund… Sie sind

jetzt Brüder, weil sie die Urstimme der gemeinsamen Mutter hören… das eigene Leben

wird für das des anderen gegeben… es gibt keine Zweifel um die Zugehörigkeit, kein

Nachlassen der Loyalität. Die Geschichte endet damit, daß sie sich trennen müssen. Es ist

furchtbar traurig, aber die äußeren Umstände haben dazu geführt. Um das Leben des In-

dianerstammes zu retten, verläßt der Weiße den Indianerstamm, und um ihren Stamm zu

schützen, lassen die Indianer ihren weißen Freund fortgehen. Der Indianerfreund schreit

seinen Schmerz in den Wind…

…es ist furchtbar traurig, aber es muß sein.

Auch wenn der Weiße nicht mehr mit den Indianern lebt, wird er den Weg des Mensch-

seins nicht mehr verlassen… Und vielleicht ist das der Grund, warum wir heute von dieser

Geschichte überhaupt erfahren haben…

Freundschaft… Warum brennt ein warmer Schmerz in mir, wenn ich an diese Indianerge-

schichte denke? Ich bin nicht die einzige, der Film war ein Riesenerfolg - Millionen haben

allem Anschein nach wie ich empfunden! Millionen… Träumen wir alle den gleichen Traum


von Freundschaft und Liebe? Es muß so sein. Denn jeder ist niedergeschmettert, wenn er

von einem Freund verraten wird, ist traurig und enttäuscht, ignoriert oder verlassen oder

belogen zu werden… In Geschichten scheint allen ganz klar zu sein, was Freundschaft und Liebe ist! Aber im richtigen Leben…

Warum sind wir im richtigen Leben nur so verwirrt? Warum kommt uns im richtigen Leben

die Orientierung abhanden? In den Geschichten, die andere für uns spielen, erscheint die

Orientierung so klar vor unserem Blick… Dort gehen wir mit den Darstellern unserer Sehn-

sucht den Weg des Menschseins. Im richtigen Leben fehlt uns der Mut dazu und wohl auch

die Darsteller, die dann nämlich die eigenen Freunde sind…

Dieser Unterschied vernebelt uns den visionären Blick zurück, dorthin, wo der Weg des

Menschseins seinen Ursprung hat… Beginnt dort nicht auch die Freundschaft?


Freundschaft:


Deutsches Universal Wörter Buch:

{mhd. vriuntschaft, ahd. friuntscaf}

1.a) - »auf gegenseitiger Zuneigung beruhendes Verhältnis von Menschen zueinander«

b) - »(DDR) Gruß der Freien Deutschen Jugend«

c) - »(DDR) Gesamtheit der Pioniergruppen an einer Schule, Pionierfreundschaft«

2.) - »Kreis der Personen, mit denen jmd. bekannt od. befreundet ist«

3.) - »die Verwandten«


Etymologisches Wörter Buch:

»‘Vertrauensverhältnis‘, ahd. friuntscaf (8.Jh.), -scaft (11.Jh.), mhd. vriuntschaft, auch ‘Blutsverwandschaft‘«

Freund: »‘Vertrauter, jmdm. innerlich verbundener Mensch‘, ahd. friunt (8.Jh.), mhd. vriunt… got. frijon ‘lie-

ben‘…, das zu der unter ‘frei‘ (s.d) angegebenen Wurzel gehört. Es bezeichnet neben dem durch Sympathie

und Vertrauen Verbundenen auch (bis in die Mundarten der Gegenwart) den Blutsverwandten.«


Frieden:


Deutsches Universal Wörter Buch:

{mhd.vride, ahd. fridu, urspr. = Schonung, Freundschaft, zu ‘frei‘}

1.a) - »{vertraglich gesicherter} Zustand des inner- od. zwischenstaatlichen Zusammenlebens in Ruhe u.

Sicherheit«

b) - »Friedensschluß«

2.a) - »Zustand der Eintracht, der Harmonie«

b) - »ungestörte Ruhe«

c) - »Zustand beschaulich-heiterer Ruhe (innere Ruhe, Gelassenheit… die friedliche Stille«

3.) - »Geborgenheit (des Christen) in Gott«


Etymologisches Wörter Buch:

»‘Zustand der Ruhe, Harmonie. Beilegung einer (kriegerischen) Auseinandersetzung‘, älter auch ‘geschütz-

tes, umzäuntes Gebiet‘… gebildetes Verbalabstraktum im Sinne von ‘Zustand der Schonung, des Wohlwol-

lens‘ zu der unter ‘frei‘ (s.d) angegebenen Wurzel…«


frei:


Deutsches Universal Wörter Buch:

{mhd.vri, ahd. fri; in der germ. Rechtsordnung urspr. = zu den Lieben (= zur Sippe) gehörend (und daher

geschützt); eigtl. = lieb, erwünscht}

1.a) - »sich in Freiheit (1) befindend, unabhängig, nicht gebunden«

b) - »ohne Hilfsmittel«

c) - »nicht an (moralische) Normen gebunden, von {sittlichen} Vorurteilen unabhängig«

d) - »(Chemie, Physik) nicht gebunden, nicht fest in den Bau des Atom{kern}s oder Moleküls eingefügt«

2.a) - »nicht behindert, nicht beeinträchtigt«

b) - »durch bestimmte Dinge nicht {mehr} beeinträchtigt od. gehemmt«

c) - »nicht festgenommen, nicht gefangen«

3.a) - »offen, unbedeckt, nicht umschlossen«

b) - »unbekleidet, bloß«

4a) - »unbesetzt, nicht von andern benutzt«

b) - »verfügbar«

5.) - »kostenlos (Kaufmannsspr.: ohne Transportkosten ins Haus, bis an die deutsche Grenze)«

6.) - »(bes. Fußball) nicht gedeckt und daher anspielbar«


Etymologisches Wörter Buch:

»‘unabhängig, unbeschränkt‘, ahd. fri (um 800), mhd. mnd. mnl. vri… prai-, pri- ‘gern haben, schonen, fried-

lich-frohe Gesinnung‘ wie auch aind. priyah ‘eigen, lieb‘, prinati ‘erfreut, ergötzt, ermuntert, findet Gefallen an

etw., genießt‘, (vielleicht) griech. prays ‘sanft, gelinde, zahm‘… russ. prijatel ‘Freund‘ sowie freien, Freitag,

Freund, Friede, Friedhof (s.d.)… got. freihals ‘Freiheit‘, anord. frjals ‘frei‘. die wohl von der ‘Unantastbarkeit

des Haöses‘ (eines freien Mannes im Gegensatz zum Unfreien) ausgehen. Die sich nur im Germ. und Kelt.

vollziehende Entwicklung von ‘lieb‘ zu ‘frei, unabhängig‘ erklärt sich aus einer Vorstellung ‘zu denen gehörig,

die man gern hat und schont‘, also den Freunden, den Stammesgenossen (im Gegensatz zu den stammes-

fremden Unfreien und Kriegsgefangenen).«


Eigentlich wollte ich beim ‘F‘ über den Frieden nachdenken, aber äußere Umstände haben dazu geführt, daß sich ‘Freundschaft‘ vorgedrängelt hat. Und jetzt, nachdem ich gesehen habe, was die klugen Bücher über Freundschaft sagen, habe ich erfahren, daß ‘Freund-schaft‘ und ‘Frieden‘ und ‘Freisein‘ miteinander verwandt sind. Es ist wohl an der Zeit, über die gemeinsame Wurzel ‘Freundschaft-Frieden-Freisein‘ zu meditieren, um zu einem umfassenderen Verständnis von Freundschaft zu gelangen.


G wie Glück


Heute bin ich glücklich. Das ist nicht jeden Tag so. Der Himmel ist blau, das schon, aber

das kann nicht der einzige Grund sein. Es ist viel mehr, der Himmel genau wie am siebten

Tag der Schöpfung: Stahlblau und unbe eckt. Und die ganze Unendlichkeit über mir! Rein

und klar. Es ist Sonntag - wie am siebten Tag der Schöpfung.

Glückliche Beine treten in die Pedale, ich fahre mit dem Fahrrad durch die ausgestorbene Sonntagsstadt. Die Menschen sind draußen vor den Toren der Stadt, dort, wo es grün ist bis zum Horizont, den ich jetzt nicht vermisse. Sonst, an normalen Tagen, vermisse ich den Horizont. Aber jetzt spannt sich die ganze Unendlichkeit über mich, mein Blick reicht viel weiter als zu jedem Horizont. Und neben mir zu beiden Seiten: angenehme Stille. Städtische Stille! Die wenigen, die übrig geblieben vor den Lokalen sitzen, machen keinen Lärm, sie trinken Cappuccino und genießen den warmen Sonnenstrahl. Dabei lesen sie Zei-tung oder in einem Buch oder plaudern lautlos.

»Jetzt bin ich glücklich!« singt die Stimme in mir, die ich so gut kenne - auch wenn sie

mich nicht allzu oft besucht. Vielleicht war ich es bereits am Morgen? überlege ich. Ich bin glücklich! Ich weiß es erst jetzt, in aller Stille.

Es läßt sich nicht machen, das Glücklichsein, es läßt sich lediglich ersehnen. Bisweilen,

wenn es zu lange dauert, vergesse ich sogar, darauf zu warten. Es kommt, wann es will.

Es kündigt sich nicht einmal an! Plötzlich ist es da, das Glück in jeder Zelle. Und erst weiß

ich eigentlich gar nicht, warum.

Warum? Wie kam dieses stille Glück so unbemerkt in jede Zelle?

Vor vielen Jahren fragte ich meinen sechsjährigen Patensohn, wann er einmal glückich

war. Freilich konnte er mir solch eine Frage nur auf Umwegen beantworten. Zuerst zählte

er die abenteuerlichsten Schauergeschichten aus seinem kleinen Leben auf, all die unge-

schickten Begebenheiten, als er einmal Glück gehabt hatte.

Ein Kind plagt sich allem Anschein nach nicht mit lästigen Sehnsüchten nach Glück, diffe-

renziert nicht zwischen Glück erleben und Glück haben.

Also zählte er alles auf, was ihm dazu ein el: Einmal

el er von einer hohen Mauer in ein

Dornengebüsch, das ihn zwar völlig zerkratzt, doch glücklicherweise aufgefangen hatte,

einmal stürzte er beim Schlittenfahren und wäre beinahe an einen Baum gekracht, einmal

hatte seine Mama Glück bei einem Autounfall…


Haaresträubende Geschichten ohne Ende, aus seinem süßen Gesicht mit großen Augen,

ich amüsierte mich. Irgendwann hielt er verdutzt inne und fragte: »Warum lachst du?«

Was sollte ich ihm darauf antworten? Ich versuchte einen neuen Anlauf, wohlwissend, daß

er wahrscheinlich noch nicht verstehen konnte, was ich von ihm erfahren wollte. Und nun

geschah das wunderbarste an jenem Abend. Die Vernunft war hier erschöpft, aber es gibt

ja glücklicherweise andere Wege zu kommunizieren. Er schaltete seinen Verstand ab und:

spielte verrückt!

Erst dachte ich, jetzt spielt er mir einen Verrückten vor, doch dann erkannte ich, er war

vollends drin - Kinder kennen keine Halbheiten. Er lag auf dem Rücken und zappelte mit

Armen und Beinen, gab seltsame Laute von sich. Ich lachte Tränen, die Tante verstand.

So sieht es also aus, wenn er glücklich ist! Mit Worten ließ sich dieser Zustand eben nicht

beschreiben.

Sein Glück hielt lange an. Irgendwann war seine Demonstration beendet, ich sagte ihm

Gute Nacht und er schlief glücklich ein.

Es sieht so aus, als hätte meine Frage nach dem Glück an jenem Abend gleich zwei Men-

schen zu Glück verholfen, die Tante und das Kind. Vielleicht sollten wir öfter danach fra-

gen? Dich und mich…

Heute bin ich glücklich aus uner ndlichen Gründen. Denn es kann nicht an dem blauen

Himmel und dem grandiosen Sonnenschein liegen. Es gibt viele solcher Tage mit viel Zeit

dazwischen - das Glück läßt auf sich warten.

…ist es, weil alles zusammenkommt, der siebte Tag der Schöpfung, stahlblau und unbe-

eckt der Himmel, und der Sonntag mit seiner Stille?

Ich komme gerade aus der Matineevorstellung, ein Dokumentar lm über einen Philoso-

phen. Wir haben ein inniges Gespräch geführt, ganz unbemerkt nur er und ich.

Glückliche Beine treten in die Pedale, ich fahre mit dem Fahrrad durch die ausgestorbene

Stadtidylle. Heute bin ich glücklich. Was heißt heute? Das Wort ist viel zu ungenau. Jetzt!

Jetzt bin ich glücklich und jede darauffolgende Sekunde. Ich weiß nicht, wann es wieder

aufhört, ich will nicht darauf warten und warte doch…

Die Menschenmassen sind draußen, dort, wo es grün ist bis zum Horizont. Jetzt vermisse

ich den Horizont nicht, nach dem ich mich so oft sehne, jetzt kann ich die Unendlichkeit

sehen, die viel weiter ist als jeder Horizont, und neben mir die angenehme Stille.


Jetzt bin ich glücklich - vielleicht war ich es schon am Morgen? Ich weiß es erst jetzt, in

aller Stille.

Es läßt sich nicht machen, das Glücklichsein, es läßt sich lediglich ersehnen. Meist, wenn

es zu lange dauert, vergesse ich sogar darauf zu warten - es kommt, wann es will. Es

kündigt sich nicht einmal an! Plötzlich ist es da, das Glück in jeder Zelle, und erst weiß ich

eigentlich gar nicht, warum.

Warum?

Gestern ist es auch schon passiert! Aus heiterem Himmel sozusagen. Diesmal saß ich im

Auto voller Hitze wie in Spanien. Auch der Himmel blau und unendlich weit, aber kein

Sonntag und keine Stille weit und breit. Es war ein Samstag! Und an seltsamer Örtlichkeit.

Genau in dem Moment, als ich die häßliche Betonbrücke hinauffuhr und meine Doppelspur

sich an die anderen Spuren legte, voller Autos und Gerase, da sprang es wieder an mich

hin: das Glück!

Wie ist das zu begreifen? Es war bestimmt nicht der fröhliche Schmiß der spanischen Mu-

sik aus der Lautsprecheranlage, nicht die Hitze und nicht der weite blaue Himmel. Es kam

nicht von außen, nichts davon. Das ganze Glück stürzte aus unbekannten Höhlen tief in

meinem Innern!

»Hier bin ich!« rief es in jede Zelle hinein.

»Ich bin glücklich! Ich bin glücklich!« sang es aus allen Poren heraus.

Meine Finger drehen die Musik noch lauter auf, weil ich tanzen will mit meinem alten Fiat-

Uno auf dem belebten Mittleren Ring, so als könnten wir beide mit Sprüngen und Pirouet-

ten eine wunderbare Kür vollführen. Doch zum Glück, ein Rest von Vernunft paßt jetzt

dringlich auf mich auf, damit ich nicht vor lauter Glück einen Unfall bau.

Ich hab ihn überlebt, diesen Anfall von Glück auf der Donnersbergerbrücke an einem

Samstag um die Mittagszeit. Und bis heute weiß ich eigentlich nicht, warum das alles so

ist. Wie kam das Glück so plötzlich über mich auf der rechten Auffahrtsspur?

Meine Forschung ist noch lange nicht beendet, doch soviel hat sich bisher gezeigt: Das

Glück ist kein Kind von Logik und Vernunft! Und trotzdem hat niemand Glück gehabt,

wenn sich die Vernunft vollends aus dem Staube macht!


Glück:


Deutsches Universal Wörter Buch:

a - »Lebensauffassung, die alles von der besten Seite betrachtet; heitere, zuversichtlich, lebensbejahende

Grundhaltung.«

b - »zuversichtliche, durch positive Erwartung bestimmte Haltung angesichts einer Sache, hinsichtlich der

Zukunft.«


Etymologisches Wörter Buch:

»‘zuversichtliche, bejahende, heitere Lebenseinstellung‘ (18.Jh.), in der Fachsprache der Philosophie Be-

zeichnung für die von Leibniz aufgestellte Lehre, daß die bestehende Welt die beste aller möglichen sei.«


H wie Harmonie


Harmonie ist eine komplizierte Angelegenheit. Es wird wohl seit Menschengeden-

ken einer Illusion nachgeeifert, die - auf Teufel komm raus - einfach keine Harmo-

nie zur Folge hat…

Am ehesten mögen die alten Inder noch gewusst haben, was Harmonie meinen

kann. Sie haben sich ein Weltbild über ein göttliches Pantheon geschaffen, in dem

noch allem, was existiert, ein Platz zugewiesen wird. Ihre Vorstellung zeichnete ein

Bild, das die Einheit anschaulich macht, die - wie wir modernen Menschen sagen -

natürlich nicht vorstellbar ist.

Die alten Inder taten es. Sie haben sich dieses Alles bildhaft vorgestellt.

Wir, die modernen Menschen von heute,

nden es naiv, in Bäumen, Flüssen, Mee-

ren und Bergen Seelen, Geister oder gar Göttinnen und Götter zu vermuten. Das

ist doch kindisch, allenfalls Kinder tun so etwas.

Im Erwachsenenalter ist dieser Glaube längst mit den alten Spielsachen aus Kinder-

tagen verkümmert. Wenn man überhaupt noch glaubt, dann an den einen Gott.

Jetzt treibt man Sport im Rationalisieren. Es spielt keine Rolle, worum es sich han-

delt, es wird überall rationalisiert bis hin zum Lieben… Wie soll lieben auch möglich

sein ohne Göttinnen! Man hat das Weibliche glatt wegrationalisiert und betet das

Männliche als höchstes Wesen an. Wie soll da Harmonie zustande kommen? Das

wäre - ganz simpel aufs Musikalische angewendet, als besäße das Klavier nur eine

einzige Taste. Ganz schön langweilig, was dabei rauskommt. Nach einer Stunde

immer der gleiche Ton würde sich bestimmt niemand hinreißen lassen zu juchzen:

Was für eine Harmonie!

Es würde auch keiner stöhnen: Wie disharmonisch! Nein, das Publikum würde

nacheinander aufstehen und gehen - aus Gelangweiltheit. Oder es würde einschla-

fen…

Einer, der den Mut hat, Kon ikten zu begegnen, gar zu konfrontieren, wird streit-

süchtig genannt - weil durch ihn die Harmonie der Gruppe durcheinander gerät. Es


soll ja bloß nichts Unangenehmes zu Tage treten! Wie unangenehm ist eine Aus-

einandersetzung! Da ist jeder gefordert, in sich zu gehen. Kaum einer lässt sich

darauf ein und strengt sich lieber an, den Kon ikten aus dem Wege zu gehen.

Schnell alles Unangenehme zudeckeln! Der andere dann, der sich nicht einschüch-

tern lässt von den Kon ikten, leidet insgeheim unter der Disharmonie, die unsicht-

bar und lautlos im Raume schwebt. Er kann sie fühlen, ganz deutlich, doch bloß

nicht seinen Eindruck hörbar kundtun – die anderen würden es ihm ziemlich ver-

übeln. Aufpassen muss er! Wie soll er sich entscheiden? Jetzt ist er mit der Grup-

pe in Disharmonie, und die wiederum scheint der Harmonie zu frönen…


Monokultur und Vielfalt…


Was ist der Unterschied zwischen der Modernen und der Alten Welt?

Die Moderne Welt rationalisiert und schafft daraus die Monokultur. Monokultur, das

heißt: Tod der Vielfalt! Damit ist nicht nur der Ackerbau gemeint, sondern das Leben

schlechthin, Seele und Körper alles Lebendigen. Man sieht es unserer Umwelt längst an,

wie wir sie mit modernster Monokultur zu Tode treiben.

Die Alte Welt will Nichts und frönt mit Sinnenlust der Vielfalt. Nimmt und gibt im ge-

regelten Gleichgewicht. Alles, was da ist, steht zur Verfügung. Alles! Das Helle und das

Dunkle, Nahrung, Sicherheit, Freude, Trauer, Rausch und Götterwelt… Auch der Rausch!

»Nur im Rausch kannst Du mit den Göttern tanzen…« üstern ferne Ahnenstimmen.

Die Moderne Welt verurteilt den Rausch, verbietet ihn mit strengen Gesetzen, und

doch hat er nie zuvor größeres Unheil angerichtet als heute.

Da saß in der Alten Welt ein Inder des frühen Morgens zufrieden in seinem Teestand -

damals saß man noch in seinem Laden! - und, da er alles Nötige für den Teeverkauf vor-

bereitet hatte, stopfte er sich gemütlich ein Shillom. Das ist die indische Bezeichnung für

die Haschisch-Pfeife, nach dem die deutschen Zollbeamten dann so eifrig das spärliche

Gepäck des heimkehrenden Indienreisenden durchstöbern.

»Rauschgift!?« So mag jetzt manch modernes Herz aufschreien. Ein anständiger mo-

derner Mensch nimmt kein Rauschgift. Keine Macht den Drogen! heißt der Slogan. Dabei

scheint man blindlings zu ignorieren, daß gerade ‘Sucht‘ eine Krankheit der Modernen

Zeit ist. Nicht der Alten Zeit! Dort durfte der Mensch noch der Vielfalt fröhnen…

Unter großen Einbußen des Komforts? Sicherlich ist es ganz angenehm, in einem wei-

chen Kuschelbett ohne Spinnen und Schlangen zu schlafen. Wenn man aber von einem

weichen Kuschelbett nichts weiß! Was dann? Man vermißt es nicht.

Wenn nun dieser indische Teestandbesitzer am frühen Morgen in seinem Teestand sitzt

und sich in aller Gemütsruhe seinem qualmenden Shillom hingibt, wird ihn jeder Fremde

aus der Modernen Welt staunend betrachten. Noch mehr wird er staunen, mit welcher

Selbstverständlichkeit der indische Teestandbesitzer ihm zum heißen Milchtee das Shil-

lom reicht und freundlich nickt.

»Sich am frühen Morgen schon bekiffen!?« so mögen sich jetzt die Modernen ereifern.

Was würden Mutter und Vater in der sauberen Heimat dazu sagen, die Freunde und Be-

kannten, die Arbeitskollegen, der Chef…?

Aber kein Muskel gehorcht diesen Stimmen, kommen sie doch aus der Modernen Welt,

von der man jetzt getrennt ist wie Erde und Mond. Sie ist zu weit weg. Hier am Teestand

mit dem Haschisch rauchenden Teestandbesitzer herrschen die Gesetze der Alten Welt. Es

ist das Gesetz der Vielfalt. Und in der Vielfalt ist alles da, ist alles erlaubt, was die Seele

erfreut.


»Bum-Shankar…« murmelt der Teestandbesitzer in seinen langen Bart. Er nimmt das

Shilom in beide Hände, führt es an seine Stirn, die Augen in kurzer Versenkung niederge-

schlagen, dann hält er es für die Länge von »Bum-Shankar« mit ausgestreckten Armen

nach oben gen Himmel, um den Göttern zu zeigen, daß er auch mit ihnen spricht, in inni-

gem Kontakt ist, hat die Augen in halb ohnmächtiger Hingabe dort hinauf gerichtet.

Das ist der göttliche Anteil beim Kiffen! Man kann es auch schöner nennen: beim Be-

rauschen in der Alten Zeit… Das Bum-Shankar ist das Gebet vor dieser Tat, sich mit Re-

spekt vor den Göttern zu berauschen. Und so, wie ein alter Weiser einmal zu seiner jun-

gen Schülerin aus dem Modernen Westen sagte: »God is everywhere…!« so spüren auch

die Menschen der Alten Zeit in ihren eigenen Händen, daß Gott alles ist und tatsächlich

überall…

Rauchen… Hieß es früher einmal Rauschen? Sagten die Menschen: »Möchtest du auch

einmal rauschen?« oder: »Rauschen wir miteinander?«

Möglich. Wenn früher geraucht wurde, hatte es wahrscheinlich immer mit Rausch zu

tun, mit dem Kontakt zu den Göttern… Die Götter lieben feine Düfte von Rauchwerk und

bestimmt auch den Rausch. Das erzählen sogar die alten Mythen.

Neugierig beobachtet dann der Fremde, wie der Teestandbesitzer das Mundstück des

Shilloms zwischen Mittel- und Ring nger klemmt, mit beiden Händen ein geschlossenes

rundes Gefäß bildet und den Rauch durch die schmale Öffnung zwischen den zwei anein-

ander gelegten Daumen tief inhaliert. »Aah!« Danach hustet er, rotzt sich regelrecht aus,

indem er den inneren Unrat pfeilschnell um die Ecke hinter seinen Stand spuckt. Dazu

muß er weder aufstehen noch sich verrenken, der Stand ist wie maßgeschneidert für sol-

chen Bedarf.

Wieder wird dem Fremden mit einem freundlichen Nicken das Shilom angeboten. Er

bestellt einen zweiten Milchtee, doch mehr aus der Absicht, den Teestandbesitzer ein we-

nig abzulenken. Während der Fremde zum ersten Mal in seinem Leben wie ein Mensch in

der Alten Welt zu rauchen versucht, will er vermeiden, daß ihn jemand dabei beobachtet.

Es ist nicht einfach, die Finger so zu stellen, daß das Mundstück des Shiloms mit Mittel-

und Ring nger luftdicht abschließt, und überhaupt die zwei Hände so zu formen, daß sie

einen luftdichten Raum um das Mundstück bilden… Es klappt nicht, wohlwollend

scheint es der Teestandbesitzer nicht zu bemerken. Aber irgendwie schafft es der Fremde

doch zu inhalieren, ohne den schmuddeligen kleinen Stof appen vor dem Mundstück

nicht mit den Lippen zu berühren…

Das mit der Lippenberührung ist auch eine auffällige Sache in der indischen Alten

Welt. Man trinkt aus Flaschen, Gläsern und Bechern, die mehrere benutzen, immer ohne

Lippenberührung. Es ist eine ganz eigene Technik, die ein Fremder nicht so schnell er-

lernt, und nicht, ohne sich gehörig naß zu machen und zu bekleckern.

Vielfalt…

Was ist nun der Unterschied zwischen Monokultur und Vielfalt?


Ein Beispiel: Wenn in der Alten Welt ein Baum fällt, stirbt ein eigener Kosmos, wenn in

der Neuen Welt ein Baum fällt, sterben allemal Blattläuse…

Und wie ist es mit den Menschen? Der Teestandbesitzer im Alten Indien sieht den

Fremden lediglich als einen Teil der großen Vielfalt an, hingegen der Fremde, der nur die

Monokultur kennt, sieht in dem Teestandbesitzer etwas Fremdes…

Es liegt vor unseren Augen… Wachstum hat sich zu Sterben umgekehrt, oder: Ent-

wicklung zu Töten. Und trotzdem halten wir unser Tun für Fortschritt, für Wachstum…

Unsere Augen sind blind geworden wie unsere Herzen, die Folgen der Monokultur stürzt

unsere Seele ins Leiden… Doch weil wir schon fast tot sind, spüren wir nicht mehr, wie sie

leidet… unsere Seele…

Die Monokultur hat uns narkotisiert, keiner hat laut genug protestiert, zu viele haben

mitgemacht, sind erblindet vor lauter Gier und Egolust, und jetzt fast tot… Das Wenige ist

zuviel geworden, hat das Leben erstickt, die Welt zerstört. Monokultur ist in Leib und See-

le eingedrungen und hat das Menschsein kaputt gemacht. Keiner fragt heute mehr, in

welchem Dienst sie eigentlich steht.


Horizont: …lat.: horizon, griech.: horizon (kyklos) = begrenzend(er Kreis, Gesichtskreis)…

zu horizein= begrenzen, zu horos= Grenze, Grenzstein, Ziel…


M wie Mutter


Mutter… Mutter… Mutter…

Du singst.

Ich sitze auf deinem Schoß.

Du singst ein mitreißendes Lied, wir sind Zigeuner.

Deine Beine wippen im Rhythmus zur fröhlichen Melodie.

Du singst nicht allein für mich.

Du singst für alle, die da sind, und für das Leben.

Alle singen mit, ich nicht.

Ich bin zu klein, kann noch nicht singen, nur schauen und lauschen.

Der wippende Rhythmus deiner Beine setzt sich in meinem Körper fort.

Mit sanften Stößen schiebt es mein Blut an.

Glücklichsein von deiner Bewegung.

Geborgenheit in deinem Gesang.

Schutz, weil du es bist.

Ich brauche keinen Trost, es gibt nichts zu trösten.

Ich sitze auf deinem Schoß, ein Teil von dir.

Mein Blick ist an dein singendes Gesicht gebunden.

Wie schön du bist, wie groß.

Jedes Stückchen deines Gesichts ist von Erfahrung gezeichnet.

Jedes Fältchen, jede Furche, jede Pore hat das Leben gemacht.

Herbe Züge vermählt mit Lebenskraft,

umrahmt von glänzendem schwarzen Ge echt.

Du sitzt auf einem Hocker aus Felsgestein,

die anderen dir zu Füßen am Boden aus Erde und Gras.

Lachen blitzt aus deinen Augen, Feuer.

Vor Freude tanzt die Luft.

Ich lausche und schaue staunend zu,

durchgeschüttelt von deiner rhythmischen Lebenskraft…

Mutter… Ich kenne dich nicht.

Doch dein singendes Gesicht in dem schwarzen Haar ist mir vertraut.

Wenn ich die Augen schließe, sehe ich dich.

Du bist da, wenn ich mich in meinen Traum vertiefe.

Ganz nah, ganz tief in meinem innersten Kern,

dort im geheimen Dunkel, wo keine Diebe ihre Triebe erfüllen,

weil sie nur draußen sind bei den anderen Ungeheuern.


N wie Niemand


O wie Optimismus


Die plötzliche Erkenntnis der Frau Maulwurf.

…ich habe meinen Optimismus verloren! bedrängten ungefragte Gedanken sie eines schö-

nen Morgens wie aus dem Nichts. Sie richtete sich im Bett auf und nahm einen Schluck

Cappuccino; es war ihr erster des Tages, wie immer morgens im Bett, das wichtigste Ritu-

al des Tages. Es war die Zeit ihrer Denkstudien.

Sie hielt inne und überlegte. Ganz langsam ist es vor sich gegangen! Sie hat die Verände-

rung irgendwie gespürt und doch nicht bemerkt. Aber nun geschah es so schnell und

plötzlich wie ein Blitz, als ihr dies bewußt wurde.

Stück für Stück hat sich der Optimismus aus meinem Leben geschlichen, dachte sie, und

eines Morgens den Verlust vor mich hingestellt. Vielleicht ist es das Alter? Wahrscheinlich

ganz normal…

Doch die ungefragten Gedanken bedrängten sie weiter und belagerten sie mit Fragen: Wie

kann ich ohne Optimismus weiterleben?

Wie war das alles gekommen? Nein, nicht, wie sich der Optimismus verabschiedet hat,

sondern wie es ihr klar wurde?

Was waren meine letzten Gedanken davor gewesen? grübelte sie und dachte daran, wie

sie kurz zuvor in der Küche stand. Während der Kaffee durch die Espressokanne zischte

und die Milch kochte, schaute sie aus dem Fenster in den Garten hinaus. In den nächsten

Tagen würde sie den Holunder schneiden, bevor die neuen Zweige hochschossen. Holun-

der wächst schnell, man kann dabei zusehen. Die Katzenleiter, die vor dem mittleren

Fenster zum Balkon der Frau Falk im ersten Stock hinau ief, würde auch bald entfernt

werden; dann kam wieder mehr Helligkeit in die Küche. Die Katzenleiter wurde nämlich

nicht mehr gebraucht, Katze Paula lebte inzwischen woanders. Zwei Monate vor der Ge-

burt ihres dritten Kindes quartierte Frau Falk die Katze Paula aus. Ihre Furcht hatte ge-

siegt, die Katze könnte nichts anderes im Sinn haben, als sich auf das Neugeborene

draufzusetzen und es zu ersticken…

Frau Maulwurf von unten hatte für solcherart Sorge keinen Sinn, sie war von Geburt an

mit Katzen aufgewachsen. Aber was sollte sie dazu sagen, das war die Angelegenheit an-

derer Leute, niemand hatte sie um ihre Meinung gefragt. Außerdem war Frau Falk Psycho-

login und entwickelte neue Lebens- und Lernmuster und Krisenlösungen und dergleichen,

und ihr Mann, der Vater des Kindes, arbeitete im Krankenhaus als Arzt.

Sie stutzte. Was war das für ein Rumoren tief im Dunkeln ihres Bauches? Es ist etwas

Häßliches, dachte sie und fühlte sich nicht wohl dabei. Denn genau dies war der Moment,

da ihr Optimismus seinem Mörder begegnete.

So ist das also, sie hat sich nie daran gewöhnen können. Sie wollte ihren Optimismus nicht

hergeben! Wäre er noch da, wenn sie sich an derart Zustände der Menschheit gewöhnt

hätte? Oder wäre es dann gar kein Optimismus, sondern Automatismus aus Blindheit?

Beim Anblick sovieler Ungereimtheiten muß man seinen Optimismus doch verlieren! disku-

tierten ihre Gedanken fort. Eigentlich wollte sie sich zurückhalten, diesmal. Alles nicht so

ernst nehmen! Doch dann machte es ‘Peng‘ und die Kulisse war gesprengt. Die Bühne

gähnend leer. Hier gibt es nichts mehr zu hoffen! stand am Boden geschrieben. Frau

Maulwurf erschrak. Sollte das heißen, ohne Hoffnung keinen Optimismus? Oder umge-


kehrt? Es gibt fei gar nix zu lachen! hatte ein Künstler alias Störenfried in einer geheimen

Ecke vermerkt. Frau Maulwurf lachte. Ein kleiner Ton entwischte ihren Lippen, machte ei-

nen herrlichen Salto und rannte in die Stille. Das Echo war nur in ihrem Ohr.

So dachte sie vor sich hin an jenem Morgen, als ihr schlagartig bewußt wurde, daß sie den

Optimismus verloren hatte. Das Thema war schwierig, sie wußte es zu genau, die Antwort

ließ auf sich warten. Sie mußte weiterleben! Vorerst ohne Optimismus.

Eigentlich geschah nichts an jenem Morgen und doch so viel. Denn kurz darauf atterte

ein Brief ins Haus, bestückt mit einem wunderbaren Zufall. Freude sprang durch ihren

dunklen Bauch, riß die Fenster auf und ließ eine Musik erklingen. »Tat-tah… tat-tah…« er-

schallte es laut und die Zukunft tanzte zu den Freudenklängen in ihren Bauch herein, »Lal-

lah… lah…«. Und schon war es wieder passiert. Auf dem Rücken des Lichts war auch der

Optimismus wieder herein spaziert und stand nun hämisch lachend vor ihr da: »Hahahah!

Da bin ich wieder!«

»Nein, nein, nein!« protestierte sie mit fester Stimme, »Diesmal lasse ich mich nicht mehr

so leicht irritieren!«

Sie schaute den Optimismus lange an. Was war so Aufregendes daran? Er lachte. Ja, er

konnte einen lachen machen, resultierte sie, auf einmal freute man sich auf Morgen! Dort

wartete nämlich etwas besonderes auf einen, etwas besseres als Heute…

Geht es mir heute denn schlecht? fragte sie ins Leere und besann sich. Eigentlich…

Aber es könnte doch besser sein! rückten die kleinen Protestteufelchen ihr zu Leibe.

Die Welt läßt sich nicht verändern! hallte es in allen Zellen wider.

Jeder Zwei er wußte es, drehte sich um und plagte sich weiter, die Welt zu verbessern.

So kann das nicht weitergehen! beschloß sie eisernen Sinnes, jetzt war sie bereit, endlich

zur Tat zu schreiten.

Wozu also Optimismus? sagte sie in das Zimmer. Wenn es tatsächlich einen Grund dazu

gibt, ja! Aber wenn es keinen gibt, dann hat er hier auch nichts verloren! So entschied sie

und schritt zur Tat.

»Jetzt kommst du in den Mixer zusammen mit der Resignation und den anderen enttäu-

schenden Früchten des Lebens!« rief sie den kleinlauten Optimismus auf seinen Platz.

Der Mixer machte einen Höllenlärm und verquirlte auch den angestauten Zorn.

So ereignete sich auf engem Raum völlig Verschiedenes. Während nur wenige Meter über

ihr Frau Falk im ersten Stock ihr Neugeborenes bereits im zweiten Monat abstillte, weil ihr

das Milchgeben zu viel Mühe war, versuchte Frau Maulwurf unter ihr im Erdgeschoß, den

Optimismus in den Griff zu bekommen. Das Mixen wollte sie nun üben, damit sich irgend-

wann eine ideale Mischung aus allen Lebenselixieren nden würde. Das war ihr Ziel.

Wenn es Grund gab zu verzweifeln, dann wollte sie so verfahren wie mit dem Wetter, das

sich ja auch nicht ändern ließ. Weg mit den Unmöglichkeiten, sie würde sich ein kleines

Gärtchen halten und mit Ungeziefern und Schädlingen streiten… Sie würde glücklich sein

mit dem, was da war. Und den Schädlingen würde sie mit Biokultur zu Leibe rücken. Ein

Fleckchen dies, ein Fleckchen das, es gab genug Bücher darüber zu lesen. Diesen Weg

muß es geben! Realismus ist angesagt…

Sie stellte sich eine Gesellschaft vor, die den Optimismus verbot. Niemand dürfte mehr

irgendetwas hoffen. Hätte das nicht Abstumpfung zur Folge? Jeder Keim, der aufspringen


will, schon im Keim mit Vernunft erstickt. Kein neuer Gedanke, keine Idee, kein Impuls und

keine Sehnsucht nach Beweglichkeit hätten je die Möglichkeit sich auszuleben!? Was für

eine düstere, monotone Kultur. Monokultur nun auch tief innendrin, nicht mehr nur im Au-

ßen für nutznießerische Zwecke. Wann wird dieser Zustand ans Licht gebracht? Ist es das,

was den Optimismus immer wieder so mächtig macht? Will er den dumpfen, lahm gewor-

denen Menschen vorantreiben? Wohin? Ist hier Gott im Spiel? Als ein Glied geistiger Evo-

lution? Ist demnach der Optimismus jener Impuls, der den Menschen vorantreibt, sich

auch in seiner Lebendigkeit weiter zu entwickeln - damit er nicht nur reines eischliches

Überleben optimiert. Hätte die Menschheit nicht noch Immenses zu schaffen, um auch in

Frieden nebeneinander zu leben? Wieviele Propheten haben dieser Welt diesen Frieden

gepredigt samt seinen Bedingungen. Sie waren optimistisch. Sie mußten es gewesen sein!

Denn wie sonst hätten sie an einen besseren Menschen glauben können? Sie sprachen und

lebten so, als müßte es ihn wirklich geben, den edlen Menschen. Tief innendrin, in der See-

le sei er! Viele haben zugehört, die wenigsten haben es geglaubt. Dennoch sind sie nicht

ausgestorben, durchweben jede Epoche mit ihrer Zähigkeit. Oft völlig unbemerkt für lange

Düsterzeit, und dann ganz plötzlich bricht eine Kraft hervor, die einem Wunder gleicht…

Immer wieder, die Mythen berichten so.

Frau Maulwurf beendet ihre Denkerei mit neuer Einsicht: Ein bißchen wollte sie sich ihren

Optimismus bewahren, eine ganz kleine Brise!

»Wie das Salz über dem Bohnengemüse.« redete sie zu sich selbst. Aber das Salz, das sie

von nun an verwendete, würde ein anderes sein. »Kein chemisch sauberes Industrieabfall-

salz und auch kein verschmutztes Meersalz mehr!« sagte sie entschlossen. Ab jetzt ließ

sie nur noch das dreihundert Millionen Jahre alte Salz des Urmeeres ihren Körper betreten,

das sich in den höchsten Bergen der Erde über so lange Zeit verstecken konnte. Die Del-

phine elen ihr ein, unser aller Lieblingstier. Ihr Gehirn ist im Vergleich zum Menschen viel

höher entwickelt, sie besitzen es bereits seit fünfzehn Millionen Jahren. Und wie lange hat

der Mensch sein tolles Gehirn? Nicht mal eine Million Jahre, vielleicht nur hunderttausend

Jahre. Über die genaue Zahl streiten sich die Wissenschaftler ständig, was Frau Maulwurf

wie ein Ablenkungsmanöver vorkommt.

Womöglich schauen die Delphine voll Mitleid auf uns unterentwickelte Menschheit herab,

weil sie vielleicht schon mehreren Menschheiten dabei zugesehen haben, wie sie sich vor

lauter Ego-Macht selbst vernichteten. Die Delphine haben ein 15 Millionen Jahre altes Ge-

dächtnis. Und der Mensch? Wie aber steht es bei den Del nen um den Optimismus? Es

heißt, ihr Gehirn besitze eine dritte Funktion, die dem Menschen vollends fehlt. Es ist eine

Art präkognitive Fähigkeit. Aufgrund der Wahrnehmung einer gegenwärtigen Situation mit

beiden Gehirnhälften blickt die dritte in die Zukunft. Dort kann der nach Lösung suchende

Delphin die Antwort der Konsequenzen sehen…

»Hier gestatte ich keinen Einwand!« sagte Frau Maulwurf im Selbstgespräch. Denn warum

sonst hätte die Evolution einem solchen Organ 15 Millionen Jahre lang die Möglichkeit zur

Entwicklung geben sollen, wenn nicht zum sinnvollen Gebrauch?! Die ganze wissenschaft-

liche Welt kann bestätigen, daß Hände, Füße, Herz und Leber usw. in ihrer Entwicklung

ständig von der Evolution optimiert wurden. Mit der geistigen Entwicklung hapert es bei

der Menschheit. Da gibt es z.B. auch den Hai, der seit Dinosauriern-Zeiten in den Meeren


herumschwimmt und als Freßmaschine überlebt hat. Und dennoch kann er den Delphinen

nichts anhaben, weil sie klüger sind. Sie wissen, was zu tun ist, und der Hai meidet sie…

Wie ist es nun aber mit dem Optimismus bei den Delphinen? Auch unter ihnen gibt es ju-

gendliche Rowdies, die Delphinkinder töten, damit sie sich der Mutter geschlechtlich nä-

hern können. Doch was passiert? Die Delphin-Erwachsenen demonstrieren Verantwortlich-

keit für das Wohl der Gruppe und weisen die Störenfriede unsanft zurecht. Dann herrscht

wieder Ordnung und Friede…

Die Gedanken rasten, Frau Maulwurf konnte kaum folgen. Was für ein Morgen! Wie ange-

wurzelt stand sie am Küchenfenster. Jetzt spürte sie es… war es zum ersten Mal? Opti-

mismus in reiner Form, in gesundem Ausmaß… Jetzt würde sie von den Delphin-Müttern

lernen und zum Wohl ihrer Menschengruppe für Ordnung sorgen.

Dies ist also die Geschichte von der Erkenntnis der Frau Maulwurf, die eines Tages be-

merkte, daß sie ihren Optimismus verloren hatte, und wie sie ihn wiederfand.

Die Realtität hat sie überwältigt und dann mit uraltem Rat gefüttert: Dem Optimismus

Ordnung und Vernunft beibringen! Dann dem Menschen Ordnung und Vernunft beibringen!

Und bloß nicht verzweifeln, wenn trotz allen Eifers keine Ordnung in diese Welt kommt.

Wer weiß, wieviel Millionen Jahre die Delphine gebraucht haben, um ein sozial entwickeltes

Erdenwesen zu werden! Vielleicht braucht die Spezie Mensch noch ein paar Millionen Jah-

re? Wie lange haben die Delphine dazu gebraucht? Niemand kann diese Frage beantwor-

ten.

Der Optimismus muß vor allem auch weit denken können, sonst taugt er nicht! resümiert

sie in Gedanken. Der eigene Tellerrand ist keine weise Perspektive! Wenn wir also unseren

Optimismus nicht optimieren, wird von der Menschheit eines Tages nicht mehr als eine

Monsterheit übrig bleiben.

Und schon überrollt sie eine neue Gedanken ut. Wie weit haben wir es heute gebracht?

Die Welt ist das Schlachtfeld von Egomanismen und Spielplatz von Einfältigkeiten.

»So ist es immer gewesen!« sagen die Alten und legen sich resigniert zum Sterben nieder.

Ihr ganzes Leben lang waren sie optimistisch gewesen, bis der Tod sie davon befreite.

Was heute noch nicht möglich ist, das ist optimistisch sterben. Denn im Angesicht des

Todes, wenn gewiß ist, daß keine Zeit verbleibt, die optimistischen Vision zumindest in

ihrem Ansatz verwirklicht zu sehen, stirbt der Optimismus noch bevor sich der Mensch

verabschiedet. Dabei wird es vorläu g bleiben.

»…doch wir sind optimistisch!« rufen göttliche Impulse der Denkerin zu und hören nicht

auf zu schweigen.

Nach 4 Jahren kann das damals neugeborene Kind sprechen und Wünsche äußern. Es

wünscht sich eine Katze zum Geburtstag, sonst nichts.


Optimismus:


Deutsches Universal Wörter Buch:

a - »Lebensauffassung, die alles von der besten Seite betrachtet; heitere, zuversichtlich, lebensbejahende

Grundhaltung.«

b - »zuversichtliche, durch positive Erwartung bestimmte Haltung angesichts einer Sache, hinsichtlich der

Zukunft.«


Etymologisches Wörter Buch:

»‘zuversichtliche, bejahende, heitere Lebenseinstellung‘ (18.Jh.), in der Fachsprache der Philosophie Be-

zeichnung für die von Leibniz aufgestellte Lehre, daß die bestehende Welt die beste aller möglichen sei.«


Q wie Quadrat

(Querdenker, Quecksilber, Quacksalber, »Quickselber! Quoksulber…«)


Das Q ist ein recht kecker Geselle im Denker-Alphabeth. Zuerst fühlt man sich von diesem

‘Q‘ erschlagen, denkt: ‘Ohje, das wird besonders schwierig!‘ Das Q liegt verdammt nah bei

X und Ypsilon. Eine Buchstaben-Formation, die es in sich hat und spontane Besorgnis aus-

löst. Q, X, Y! Das Bermudadreieck im Alphabethensturm.

Aber dann, wenn man schon mittendrin ist im Denken, quatschen plötzlich fremde Stim-

men dazwischen und ganze Gesandtschaften des Q purzeln durch das Hirn. Sie sind von

jeder Stimmung – ernst und lustig und so weiter. Schon hatte sich die Idee ausgebreitet,

lediglich aufzuzählen, welche Wörter es überhaupt gibt, die mit dem Q beginnen. Denn

erst mal meldet der Verstand, es gibt kaum welche. Aber dann veranstaltet das Q solchen

Lärm und Trubel, daß die Gedanken beginnen sich umzuorientieren. Niemand schreibt hier

vor, wie lang die Geschichte über das Q zu sein hat, ja nicht einmal, welche Form es über-

haupt haben soll. Beim Denker-Alphabeth gibt es keine Bedingung. Der Gedankensprudel

soll bestimmen, besitzt jede Freiheit, der Buchstabe dient der Verwirklichung.

Das Q bereitet dennoch Kopfzerbrechen. Was ist wichtig? Beim Q kam nicht spontan ein

Begriff in den Sinn ge ogen, so wie bei manch anderen Buchstaben, das innere Geplauder

anzuregen. Das A zum Beispiel war ganz einfach: Angst! Oder F wie Freundschaft, O wie

Optimismus, W wie Wahrheit, Z wie Zweifel. Allein beim Denken an den Buchstaben sprang

schon ein Wort darauf. Doch mit dem Q ist alles ganz anders.

Nach langem Überlegen sortieren sich Lärm und Trubel und die Qual hat allmählich ein

Ende. Da steht das Quadrat nackt vor mir und schweigt. Angewiedert drehe ich mich um

und … Nein, ich laufe nicht weg. Langsam gehe ich auf das Q zu und schaue es von Na-

hem an. Es ist häßlich. Ich mag es nicht.

In der Nacht geht es mir nicht aus dem Kopf, es hat mich verhext.

Q…Q…Q…

»Quadrat …« murmelte ich eines Nachts zwischen Schlaf und Wach, »Quadrat …«.

Ist es ein wichtiges Wort, also auch ein Kandidat für das Denker-Alphabeth? Was hat die

Menschheit mit dem Quadrat zu tun? Ich betrachtete das Quadrat. Es ist nicht sehr ge-

sprächig. So sehr ich auch darüber nachdenke, es fallen mir lauter Widrigkeiten ein. Als sei

nichts Erquickliches an diesem Quadrat! Das Quadrat scheint ein unguter Faktor zu sein.

Die Astrologie ist da gar nicht zimperlich und spricht es geradewegs aus:

»Achtung, Vorsicht, da kommt ein Quadrat!«

Umgotteswillen! denkt dann der, dem die Zukunft damit droht. Das Quadrat sorgt stets

für Schwierigkeiten im Leben!

Wer so denkt und redet und sowas hört, ist immerhin noch wach im Schädel und in den

Ohren. Im täglichen Leben nämlich ist das Quadrat zur Routine geworden und ist im Be-

griff alle Bereiche zu erobern. Das »Achtung!« hat seine Wirkung längst verloren, die War-

nung streichelt nur vorbei an tauben Ohren. Ginge die Evolution nicht so schleichend von-

statten, die Menschen würden heute längst in quadratischen Körpern stecken. Glückli-

cherweise braucht die Entwicklung Zeit, sehr viel Zeit, umsich zu materialisieren. Zuerst

muß die Mutation im Geist statt nden, dann erst kann sie sich in der Materie manifestie-

ren. Die Stof ichkeit hinkt immer hinterher. Wissenschaftler sagen, eine Veränderung in


der Psyche benötige zehntausend Jahre, um sich in den Genen einzutragen. Demnach

dauert es also noch eine Weile, bis der Mensch auch außen quadratisch ist. Die Materie ist

träge, aber irgendwann wird es so weit sein.

So sei es. Die Menschheit quadriert! Gibt es da noch Zweifel? Der Quadrierungsprozess

hat längst begonnen. Multiplikation ist Kultur. Das Ego multipliziert und multipliziert sich

mit sich selbst – mit Vorliebe samt allem Irrsinn. Das Ende ist aber noch lange hin, noch

Zeit, darüber nachzudenken.

»Geistige Verdummung ist Kult geworden!« Stimmen wettern hinter verschlossenen Tü-

ren. Wer seinen Verstand exibel hält, ist ausgestoßen aus der Gemeinde ‘Mehrheit‘. Das

Quadrat ist in der Überzahl. Ihre Anführer multiquadrierte Wesen.

»Was sinnst Du da zusammen?«

Gedankensplitter üben sich in Aufmüp gkeit, stellen mein Sinnieren in Frage?

Das Grübeln lässt sich nicht beirren, setzt sich selbständig fort.

»Wo stehe ich?«

»Außerhalb des quadratischen Vegetierens!« faucht das Gewissen mir entgegen.

»Man bedenke nur, wie viele Quadratschädel bereits ihr Unwesen treiben auf diesem Pla-

neten?« wendet ein Gedankenhüpfer ein. Keiner kann das so genau benennen. Inzwischen

haben sie die Mehrzahl für sich gewonnen, man hat sich bereits daran gewöhnt. Die Masse

ist mächtig, die Masse hat Recht!

Gäbe es ein Mittel, das entgegen aller quadratischer Regeln schlagartig die Augen öffnet,

ich würde es sofort er nden. Sei es nur für einen winzigen Moment, der ganzen Erdbevöl-

kerung die Lider aufreißen, damit sie ihre Taten erkennt. Alles würde sichtbar werden! Wie

Monster erscheinen plötzlich die Giganten quadratischen Eifers. Monumente glohrreichen

Industrialisierens und Potenzierens von Geld und Noch-Mehr sind mit trügerischen Initialen

signiert: Zum Wohle der Menschheit! Das ist der Trick dabei, das Wohl des Konsumenten

preisen und gleichzeitig mit Belohnung locken, Mittel zu er nden, um den Menschen in

seiner Unregelmäßigkeit auszurotten. Die Vielfalt ist zum Tode verurteilt!

Ist das alles nur ein winziger Ausschnitt aus dem großen Prozess, das Gleichgewicht wie-

der herzustellen?

Nicht nur, um das Quadrat schön sauber zu halten, werden die Wurzeln möglichst weit

weg aus den Quadraten gezogen, sondern, um das Experimentieren hier nicht zu stören,

und bestimmt auch, damit Andy Warhol‘s quadrierte Kunst keine Kratzer bekommt.

Manchmal möchte man fast glauben, das Quadrat mache keinen Sinn für den Menschen,

außer, daß er daraus lernen könnte. Aber wer tut das schon? Die Astrologie weiß davon,

kennt die Tücken des hochgeborenen Willens, deshalb ist sie auch fast verstummt, wo sie

keine Vermarktung ndet.

Mal ehrlich, wer möchte sich schon mit der Lösung eines Quadrates quälen? Man ist qua-

dratisch und damit basta! Was soll‘s, die meisten sind es, man muss realistisch sein.

Der Geist also längst ins Quadrat gegossen, potenziert sich selbst in die Zukunft voran.

Einige allerdings sind Störenfriede: Sie denken quer! Es gibt sie wirklich, diejenigen, die

immer noch nicht quadratisch sind. Sie wollen nicht und weigern sich, bleiben lieber

krumm und quer. Das rettet sie vor der einschränkenden Quadratur. Aber nicht vor den

Qualen des Nichtdazugehörens! Ja, von diesem Leiden aus gesehen, wären sie quadratisch


freilich besser dran, nur: Dann wären sie nicht mehr Individuum, nicht mehr lebendig. Und

das entbehrt nun überhaupt keiner Logik, man muss sich dies nur richtig zu Gemüte füh-

ren. Natürlich schlägt das Herz der Quadraten in anatomischer Natur und so weit sind sie

auch noch am Leben. Wie aber steht es um ihre geistige Urnatur? Unabhängigkeit? Die

Freiheit der sinnlichen Moleküle, ihre Lebendigkeit, die Liebe im Reich der Vielfalt? Eben

dort, wo die Ecken rund geblieben sind?!

Quadratische Gesellschaft! Diejenigen, die noch nicht zur Quadratur mutierten, sehen die-

sen feindseligen Ort auch von außen, verzweifelt ringen sie mit den quadrierten Bestim-

mungen dort. Es ist leichter für die Führung, eine quadrierte Menschheit zu dirigieren, je-

der scheint es zu wissen, redet gar darüber und bleibt dennoch taub und dort. Es ist ein

hartes Los, krumm zu sein – nicht quadratisch. Am ehesten noch ist es das Leben!

Ein Philosoph hat einmal gesagt: »Es gibt kein richtiges im falschen Leben!« Demnach gibt

es auch kein krummes in einer quadratischen Welt? Gerade diese querdenkenden Kreatu-

ren sind eine Bedrohung für das mächtige Quadrat. Das wissen sie. Die einen genau, die

anderen nur ungefähr. Doch die Gefahr besteht ebenso umgekehrt.

In lauen Vollmondnächten sitzen die Krumm- und Querdenker beisammen, um bei aller Re-

bellion und vollem Ernst der Angelegenheit auch ein wenig rumzualbern und zu labern. Sie

quasseln und quatschen, qualmen dabei die Bude voll und quaken, quarren und quengeln,

querelen und quieken und quellen schier über vor lauter querer Quintessenzen. Oft fällt

ihnen allerhand ein, was der reinen Nutzlosigkeit dient und gleichzeitig niemals über üssig

ist, ja sie baden förmlich in der Quelle aller Antworten und fühlen sich der magischen Lö-

sung des Quadrats wieder ein Stückchen näher. Eine erfreuliche Nacht, es wird viel ge-

lacht. Aber auch kapiert, und mehr und mehr erst hinterher. Viele Male wiederholt sich das

und jedesmal haben sie sich ein Stückchen weiter vom Quadrat davon gemacht. Was

schert sie die Quadraten, die ihnen doch nur das Leben vergraulen und allem den Sinn ent-

rauben!

Das Quadrat hingegen weiß nichts von seinen Emotionen. Aus seinen Augen gesehen,

muss der Querdenker vernichtet werden. Nicht unbedingt mit Mord und Totschlag oder

ähnlicher schmutziger Grausamkeiten, aber vernichtet. Gegen das Lebendigsein kämpft er

an! Es macht ihm Angst, denn er kennt es nicht. Er holt zum Schlag aus und weiß nichts

von seinem Feind. Seine Angst hält ihm die Gegner wie einen Spiegel vor. Er kämpft ver-

bissen, mit zusammengekniffenen Blicken.

Die Querdenker sind die einzige Gefahr für die Quadraten, nicht jedoch für den Menschen

an sich, dagegen Quecksilber schon, mitunter auch manch einer, den man Quacksalber

nennt.

»Quackselber!« sagt der Querdenker herausfordernd zum Quadrat, ein letzter Versuch, es

zum Krummsein zu bekehren.

»…Quocksulber…« antwortet das verirrte Quadrat, stutzt erschrocken, hält inne und

wundert sich über diesen Blödsinn.

Er wundert sich! Zum ersten Mal.

»Nein, nicht zum ersten Mal…« üstern quere Stimmen in quadratische Ohren. Sie qet-

schen sich hinein, durch die Öffnung, durch die einmal alles drang, was draußen war, und

inzwischen so eng geworden ist. Aber die quere Energie schiebt sich durch jede Enge, ist

wie ein Fluss in der Schlucht, der zur Mündung rennt, um in das Meer zurückzu ießen.


Einmal drinnen, ist die quere Kraft nicht mehr zu bremsen. Wenn sie dann die Höhle des

Quadrats betritt, ist es geschafft: Sie kann sich mit dem Innnersten des Quadranten ver-

bünden. Denn hier schreit sie es laut und deutlich seinen Gedanken zu:

»Nein, es ist nicht das erste Mal! Es ist nur schon so lange her! Erinnerst du dich nicht?«


Quadrat:


Deutsches Universal Wörter Buch:

1a - »Rechteck mit vier gleich langen Seiten.«

-b - »von vier Straßen begrenztes (gewöhnl. etwa rechteckig) bebautes Areal einer Stadt, das durch Straßen

nicht weiter unterteilt ist.«

-c - »(Math.) zweite Potenz einer Zahl (mit sich selbst multiplizieren)«

2 - »(Astrol.) 90° Winkelabstand zwischen Planeten«

3 - »(Druckw.)längeres, rechteckiges, nicht druckendes Stück Blei, das zum Auffüllen von Zeilen beim

Schriftsatz verwendet wird, Geviert«


Etymologisches Wörter Buch:

»geometrische Figur mit vier gleichen Seiten und vier rechten Winkeln, zweite Potenz einer Zahl, um 1400

unter Aufgabe der lat. Endung entlehnt aus lat. quadratum, der substantivierten neutralen Form von quadra-

tus ‘viereckig‘, zu lat. quadrare ‘viereckig, ebenmäßig machen, passen‘ (siehe Quader). Entgegen der ei-

gentl. Bedeutung bezeichnet in jüngerer dt. Umgangssprache Quadrat als erstes Kompositionsglied (ausge-

hend von der Vorstellung eines kantigen, breiten Gebildes) Unförmiges, mangelhaft Ausgeformtes, vgl.

Quadratlatschen ‘riesige Füße, Schuhe‘, Quadratschädel ‘grobschlächtiger Schädel‘, auch ‘starrsinniger

Mensch‘ (19.Jh.).«


S wie Stagnation


Stagnation… Hilfe ich stagniere! Ich weiß eigentlich nicht, warum. Mein Körper

weiß es, sagt es mir täglich mit seinem Symptom. Aber ich kann es nicht deuten,

weiß jetzt nur: Ich stagniere.

Ich weiß es seit gestern erst, mein Körper bereits drei Wochen lang, vielleicht noch

viel länger. Er weiß, wo der Ort liegt, der sich der Stagnation ergibt, ich nicht. Er

aber spricht nur mit dem Symptom zu mir. Das ist seine Sprache, ich verstehe sie

nicht.

Ich will sie verstehen, muß, denn ich leide. Zuerst körperlich, nun allmählich im

Geiste. Ich muß jetzt wissen, was ich wissen soll und nicht weiß, denn sonst sterbe

ich. Und das will ich nicht. Ich will leben!

Was hindert mich daran?

Ich sehe mein Unglück nicht. Etwas freilich spüre ich davon, sonst könnte ich nicht

so reden. Doch dieses Gefühl ist vage, ohne Gestalt, entzieht sich meinem unter-

suchenden Blick. Beharrlich tobt es sich im Dunkeln aus. Es kann sich nicht befrei-

en und heraus, so wie es will - meine Augen erlauben es nicht. Sie wollen nicht se-

hen, was da unten, dort drinnen ist.

Die Angst verhindert solchen Willen. Dann die Gewohnheit. Und inzwischen ein

Phantom, das immer noch sein Unwesen treibt… Eigentlich ist es nicht mehr seine

Zeit. Trotzdem hat es die Macht einer Teufelin… und könnte doch ein schönes

Mädchen sein.

Warum sind immer nur schöne Mädchen gut?

Dabei ist gerade die Teufelin vonnöten, wenn es um Befreiung geht! so heißt es in

alten Zauber-Büchern. Doch Vorsicht! Auf die Dosierung kommt es an und die Mi-

schung: Ein bißchen gut, ein bißchen böse und alles zu seiner Zeit! Wachsamkeit

ist unerläßlich - die Verführungskünste der Bösen sind betörende Köstüme. Wird

die Teufelin verkannt, ist ihr vernichtendes Lachen das Letzte, was man hört. Da-

mit aber hätte sie ihre P icht verfehlt als Dienerin des Gleichgewichts, der Göttin

des höchsten Gesetzes. Sie soll den Dämonen auf die Sprünge helfen und Unruhe

stiften für die Richtigkeit!

Nun also, ich bin bereit…

Ich lausche… höre nichts.

Ich leide an Stagnation, sitze und warte auf die Botschaft, die mich heilt. Und hei-

len will ich, egal, was es kostet. Ich stagniere. Gibt es einen anderen Weg? Stille.

Also stagniere ich und tue dies solange mit Ergebenheit, bis sie sich endlich zeigt,

diese geheimnisvolle Böse. Ihre Gestalt in Verborgenheit gehüllt, nährt sie mein

Unentschlossensein, damit ich nicht davonlaufen kann. Es ist ihre Unsichtbarkeit,

die mich gefangen hält!

Deshalb stagniere ich und stagniere und bewege mich nicht…


Stagnation:


Deutsches Universal Wörter Buch:

»Stillstand, Stockung bei einer Entwicklung (bes. auch wirtschaftl. Gebiet).«


Etymologisches Wörter Buch:

»‘das Nichtabfließen‘ von Wasser, ‘Stauung‘ des Blutes (Ende 17.Jh.), med.-lat. stagnatio ‘Flüssigkeitsstau

(im Körper), ‘Stockung, Stillstand‘ (Mitte 18.Jh.) - stagnieren Vb. ‘stocken, stehenbleiben, beharren, sich

nicht weiter entwickeln‘, aus lat. stagnare ‘überschwemmen, überschwemmt sein, unter Wasser stehen,

nicht abfließen‘, zu lat. stagnum ‘durch Überschwemmung entstandenes Gewässer, See, Teich, Tümpel‘«


T wie Trost


Es war ganz leicht. Als das kleine Mädchen im Zug weinte und die Eltern sich zwar

irgendwie bemühten, es aber eher nur noch mehr zum weinen brachten, da ent-

deckte die Mitreisende, die gegenüber am Fenster saß, draußen am Flußufer rosa-

farbene Schweine. Sie gingen dicht an dicht hintereinander her, in die entgegenge-

setzte Richtung, in die der Zug gerade fuhr.

»Schau nur!« sagte die fremde alte Dame zu dem weinenden Mädchen und deutete

zum Fenster hinaus, »Siehst du all die Schweinchen am Ufer?«

Das kleine Mädchen wandte das Köpfchen zum Fenster und hielt mitten im

Schluchzen an. Es schaute und schaute und war wie gebannt.

»So viele Schweinchen,« sagte die Mitreisende, »die bringen viel Glück…«

Da lachte das kleine Mädchen.

Diese Geschichte könnte heißen ‘Tränen für Schweine‘. Ist es ein Zufall, daß die

ersten Worte, die mir zu ‘T‘ einfallen alle mit ‘Tr‘ beginnen?

…Traum, Trance, Transzendenz, Tragik, Traurigkeit… Es gibt auch noch andere

Wörter mit T, z. B. Tod, Tante, Tiger, Tatsachen, Tisch, Tennis…


Trost:


Deutsches Universal Wörter Buch:

»{mhd., ahd. trôst, eigtl. = (innere) Festigkeit}: etw., was jmdn. in seinem Leid, seiner Niederge-

schlagenheit aufrichtet«


Etymologisches Wörter Buch:

»‘seelischer Halt, Zuversicht, Ermutigung im Leid‘, ahd. (8.Jh.), mhd. ‘trôst‘ = ‘Vertrauen, Zuver-

sicht, Ermutigung, Hilfe, Schutz, Tröster‘, got. ‘trausti‘ = ‘Vertrag, Bündnis‘…

Unter dem Ein uß d. christlichen (südd.) Mission wird ‘Trost‘ der dt. Ausdruck für lat. ‘consolatio‘ =

‘durch Zuspruch entstehende seelische Stärkung‘. ‘Trost‘ bedeutet heute allgemein ‘seelischer

Halt, seelische Unterstützung‘.,


V wie Vergessen

(Hausaufgabe nach der 1.Probe für German Angst zum 6.BrandlochFest2012

Text entstanden nach Animationsfilm Waltz with Bashir am 25.1.2012)


Es gibt verschiedene Arten des Vergessens, das beliebige Vergessen, das Vergessen

müssen, das Vergessen wollen …


Man vergisst dies und das und meint es sei verloren, wir träumen und meinen, das meiste

sei Unsinn. Denn all das Verloren geglaubte spukt in fremdartigen Kulissen seltsame Sze-

nen aus und bleibt deshalb beinahe unerkannt. Beinahe, denn plötzlich springen Emotio-

nen auf und funken Partikel an die Gefühlszentrale, die unmittelbar mit dem denkenden

Zentrum in Verbindung steht. Dann setzt Erinnerung ein, für einen so kurzen Moment,

dass es kein Leichtes ist, sich das Bild genau einzuprägen. Mal klappt es, mal nicht.

Wenn aber das Bild da ist, kann ich die Emotionen abrufen, die mich zum Verloren ge-

glaubten führen und ich weiß es wieder.


Wer schenkt dem schon Aufmerksamkeit, das beliebige Vergessen ist allerhöchsten von

tragikomischer Art, die in den meisten Fällen, wenn überhaupt bemerkt, allenfalls Humor

erfordert – oder auch den Willen zum Gedächtnistraining!


Mit den anderen Vergessen ist nicht lustig. Man könnte sie in zwei Kategorien einteilen,

das Vergessen müssen wäre das passive Vergessen, das Vergessen wollen das aktive.

Das Kind, der Soldat und viele andere müssen vergessen, weil etwas dermaßen schlimm

ist, dass sich der Verstand eliminieren würde, käme das Grauen ins Bewusstsein. Der

Körper ist ein intelligenter Apparat, das Gedächtnis blendet flink einen Spot aus und der

Denker ist nicht mehr in der Lage, an das Schlimme zu denken. Die Erinnerung ist ausge-

schaltet. Jetzt kann man meist wieder ruhig schlafen.


Es könnte so gemütlich sein, würde nicht zwanzig oder dreißig oder egal wieviele Jahre

später ganz unerwartet aus dem heiteren Nichts etwas passieren, was einen Umkehr-

Kurzschluss auslöst. Plötzlich gehen alle Lichter wieder an und scheuchen die Emotionen

mit verheerenden Blitzen auf. Danach bricht alles zusammen, einschließlich der Körper.

Der Körper vergisst nicht! Der Verstand schon. Vielleicht erleidet der Betroffene einen

Nervenzusammenbruch, es gibt inzwischen so viele Wörter – Psychose, Burnout, De-

pression, Schizophrenie, Trauma, Schock … Wer weiß schon wirklich, was wo und wie

zusammenhängt. Oft kommt der Zusammenbruch des Systems in Form einer physischen

Erkrankung zum Ausdruck, oft wird derjenige dann operiert, an irgendeinem Organ im

Bauch. Ein zusätzlicher Schock, denn der Körper leidet an Verwirrung. Der Schock erholt

sich dank einer Medizin, man wird in die Reha oder auf Kur geschickt oder beides und

dann als gesund entlassen. Doch geheilt ist man nicht. Langsam schleicht sich bereits der

nächste Schock heran und der nächste und jeder rüttelt und rüttelt an der schwerfälligen


Materie, damit der Verstand etwas begreift. Etwas Kleines wenigstens, irgendetwas,

Hauptsache das Hirn fängt an, in die Richtung zu denken. Das Ziel ist der Weg. Meist

aber verstirbt der Patient unkuriert … Vielleicht findet die Heilung im Moment des Todes

statt, keiner kann es erzählen, damit die Lebenden davon sprechen.


Das Vergessen wollen, also das aktive Vergessen, funktioniert gerade umgekehrt. Man

kann nicht vergessen, will es aber so dringlich, weil man Opfer der Erinnerung ist – auch

da ist etwas Schlimmes passiert . Vergessen wollen und nicht können, das ist, was ich

kenne. Seit Jahrzehnten suche ich nach Mitteln, Erinnerung unschädlich zu machen. Sie

schadet nur mir, die anderen merken nichts – sie sehen nur, wenn mein Körper krank ist.

Was innerlich geschieht, erlebe nur ich. Anstatt mich den Lichtschalter finden zu lassen,

damit ich den Spot endlich ausschalte, führt mich das Vergessen wollen über die Jahre

noch weiter zurück in die Vergangenheit. Es hört gar nicht mehr auf, bis in die Steinzeit

gelange ich. Zuerst quäle ich mich in meiner Kindheit, dann in der meiner Eltern, dann in

der meiner Großeltern und so fort. Über die Hexenverbrennungen bis hin zu den Hundert-

schaften von brennenden Leibern, die einmal Katarern gehörten, weht es mich mit Entset-

zen … Es scheint, nur ich allein blicke mit diesen Augen und die anderen sehen nichts.

Mein Leben verstrich mit dieser einsamen Reise und kurz vor meinem Ende wünschte ich,

ich hätte am Anfang gewusst, was ich jetzt weiß. Eine schöne Fantasie. Aber Vergessen

wollen geht nicht – und das ist eine wichtige Botschaft. Der Blick auf zwei Generationen

egal welchen Volkes genügt, um zu wissen. Jeder neue Schritt auf alten Ruinen ist eine

neue Vision! Das wird die Erkenntnis sein. Das ist das Ziel.


Meine Heimat ist krank:

Jede spricht und tanzt ihren Raum, auf den Lippen ein Satz, so dass jeder aufeinander

folgende Satz den gesamten Text bildet. Am Ende Aufstellung verteilt im Raum und nach-

einander eine andere Nationalität nennen, dann gemeinsam: Meine Heimat ist krank.


W wie Wahrheit

Es wurde weiß Gott schon viel über Wahrheit diskutiert und trotzdem hat bis heute noch

keiner so überzeugend gesprochen, daß jeder darin übereinstimmen würde. Das sollte

doch bei dem Wort Wahrheit eigentlich der Fall sein! Denn wenn etwas wahr ist, dann ist

es doch für alle und an allen Orten und in allen Zeiten wahr!

»Anscheinend nicht!« argumentieren die modernen Liberalen und lächeln selbstgefällig.

»Dann gibt es viele Wahrheiten?« fragen ungläubig jene, die sich nicht sicher sind.

Irgendwie will es mir so vorkommen, daß Wahrheit keinen Plural zuläßt. Was sind Wahrhei-

ten? Gibt es einen Unterschied von Wahrheit und Wahrheiten? Kann man so überhaupt

fragen? Oder ist das bereits ein Zeichen des Nichtverstehens von Wahrheit? Jeder meint,

die Wahrheit zu kennen, und das sind ziemlich viele.

»Wahrheit kann doch nicht x-beliebig sein!« wettern die einen.

»Was für ein abgedroschenes Thema, gerade in der heutigen Zeit der großen Freiheit…«

so stöhnen viele und sind längst genervt, »…warum überhaupt noch darüber reden?«

»Was ist Wahrheit?« fragen die anderen. Die Stummen denken nach.

»Es ist heute nicht chic, sich darüber allzu ernsthafte Gedanken zu machen…« meint der

Trenddesigner lachend.

Ja, das weiß auch ich. In einem anderen Jahrhundert da wäre dieses Thema große Klasse.

Aber jetzt und heute? Hier in diesem Augenblick?

Trotzdem, die Gedanken kommen ungefragt, stellen sich ohne Einladung vor meine Augen

hin und stören die Ordnung meiner Sicht. Alles gerät durcheinander! Da lagen eben noch

wohlsortiert die angenehmen und die unangenehmen Einheiten zu beiden Seiten meines

Blicks, dazwischen pulsierte ein Licht. »Das ist die Wahrheit!« üsterte eine Stimme ohne

einen Zweifel, »Wir Menschen haben eigentlich nichts damit zu tun!«

Doch auf einmal durchstöbern die Geister des Gedankentrupps die Reihen meines feinsäu-

berlich errichteten Ackerbaus. Ich sträube mich und jage sie davon.

»Aber was regst du dich denn so auf?!« rufen sie höhnisch lachend mitten in mein Ge-

sicht. Sie lassen sich nicht vertreiben, stellen stattdessen alles auf den Kopf in meinem

wohlgehüteten Garten.

Da geschieht das Unerwartete. Jenes pulsierende Licht in der Mitte durchdringt nun neue

Saat in meinen Felderreihen! Und so erblicke ich zum ersten Mal, was ich zuvor nicht sah…

War es nicht schon immer da?

Ich bin erstaunt und Ehrfurcht drückt mich auf den Boden, weil es wahr ist, was ich sehe.

Es ist nichts von mir Gemachtes, nicht meinem Gusto gefällig! Keines meiner Egos hat je

daran herumgebastelt. Im Gegenteil, sie laufen jetzt davon, die vielen Egos, sobald sie es

sehen, können den Anblick von Wahrheit nicht ertragen. Sie kommt von woanders her, wie

soll ich es nennen, eine Kraft? Energie? Macht? Göttlichkeit?

»Es ist die Hand, die auch dich gesät hat,« sagt eine Stimme von irgendwo her, »von ihr

kommt die Wahrheit, dieses pulsierende Licht.«

»Was soll das Gefasel?!« rufen die Realisten und bauen sich schnell ein neues Haus. Sie

sind stolz darauf. Sie haben die Wahrheit begriffen, schreien sie laut in die Welt hinaus

und blicken ängstlich in ihre Hosen- und Jackentaschen. Aber das merken sie nicht, und


auch nicht die anderen, und schon geht das Gestreite von neuem los, welches die bessere

oder richtigere Wahrheit sei. Es bringt alles nichts, dieser Fall ist aussichtslos.

Die ganz Gescheiten sind gar so verhext vom Duft der großen Freiheit, daß sie sich nicht

einmal schämen, von ihren eigenen Wahrheiten zu schwärmen, und dies auch noch beto-

nen. Manch einer ist gar unter ihnen, der besonders große Toleranz beweisen will und

dröhnt: »Aber, aber, jeder hat doch seine eigene Wahrheit!«

Eine eigene Wahrheit haben? Gibt es das? Es ist schwer zu erklären, auch in diesem Fall

steht die Wahrheit vor verschlossener Tür. Und mag sie noch so eindringlich klopfen, sie

ist in die Dunkelheit verbannt, was der Betreffende nicht einmal merkt.

Wie oft habe ich mich von diesen gescheiten Dummköpfen verwirren lassen und wie viele

Tage und Wochen und Jahre an deren Aussagen herumgekaut?

»Du mußt akzeptieren, daß jeder seine eigene Wahrheit hat…« wurde ich ständig und wie-

derholt belehrt.

Was für ein zeitraubender Satz! Er hat mich viel Schweiß gekostet. Wie oft wollte ich als

toleranter Mitmensch dann niederknien und demütig akzeptieren? Doch jedesmal, wenn

ich mit dieser Selbstkasteiung begann und die Knie den Boden berührten, kam Übelkeit

aus mir heraus und zwang mich zum Rebellieren. Ich muß jetzt kurz üstern: »Mir war zum

Kotzen!«

Und dann bin ich wieder aufgestanden und habe nachgedacht für weitere Wochen. So ging

es ein paar Jahre, Aufstehen, Nachdenken, Hinknien, Übelkeit, Aufstehen… Ich konnte

nicht begreifen, kaum wollte ich mich dieser Aussage beugen, stieg eine ungeheure Wut in

die Höhe. Wie oft dachte ich, ich müsse mich besser unter Kontrolle bringen, disziplinie-

ren. Aber diese Wut war nicht von mir gemacht, raste aus ganz anderen Dimensionen zu

mir durch mein Innen.

Heute bin ich klüger. Bewies ich nicht genug Disziplin, indem ich tausende von Seiten

schreibend über einen alten ägyptischen Mythos nachdachte? Dort gab es eine Göttin der

Wahrheit, sie hieß Maat. Ihr Gesetz stand über allen Gottheiten, denn es war das Zentrum

der gesamten Ordnung. Zuerst fand ich diese Dinge fremd und faszinierend, dann habe ich

mich tiefer und tiefer hineingegraben und auf einmal geschah es, daß ich mit den Worten

der Alten Ägypter zu argumentieren begann: »Nicht Macht vor Recht, sondern Recht vor

Macht soll es heißen!« Schon erschrak ich. Bin ich etwa verrückt geworden? Und wieder

habe ich nachgedacht für viele Stunden, Tage, Wochen, Jahre.

Im Laufe der Zeit bin ich in viele Richtungen ‘verrückt‘, mal habe ich mit den Worten der

Alten Chinesen gesprochen, mal nach alten Propheten. Im Grunde aber drehte es sich im-

mer um das Gleiche, sie alle sprechen von der Wahrheit im Singular. Von der Einen!

Man kann sie nicht erklären, soviel weiß ich jetzt, lediglich die reiche Auswahl von Verpa-

ckung und Kostümierung können helfen, allmählich zu begreifen, wieviel Verwirrung sie

stiften.


Wahrheit:


Deutsches Universal Wörter Buch:

1a - »{o.Pl.} das Wahrsein; die Übereinstimmung einer Aussage mit der Sache, über die sie gemacht wird;

Richtigkeit.«

b - »der wirkliche, wahre Sachverhalt, Tatbestand;

2 - »(bes. Philos.) ‘Erkenntnis‘ (als Spiegelbild der Wirklichkeit), Lehre des Wahren (1a).«


Etymologisches Wörter Buch:

»‘das Wahre, Wirklichkeit‘, ahd. (9.Jh.), mhd. ‘wârheit‘.«


Z wie Zweifel


Was, wenn das alles nicht stimmt mit dem glückseligen Himmelreich? Mit der Erlösung,

dem ewigen Leben und dem Frieden nach dem Tod… Wenn das alles nicht wahr ist, wo-

von seit Menschengedenken geredet wird, alles nur ein viel umkämpfter Irrtum…

Was, wenn Göttinnen und Götter mißverstandene Begriffe sind und eigentlich nur das Un-

begrei iche meinen, wenn ihre Namen einzig dem ehrgeizigen Versuch dienen, das Unbe-

nennbare zu benennen?

Was, wenn das alles nicht stimmt mit dem Leben nach dem Tod? Wenn in Wirklichkeit da-

nach alles tot ist, was einmal gelebt hat? Wenn das ganze Universum nur ein brodelnder

Tanz der Elemente ist, die seit unvorstellbaren Ewigkeiten einfach nur Anziehung und Ex-

pansion üben? Und so fortfahren bis in alle Ewigkeit…

Was, wenn das alles nicht stimmt, daß es eine Seele gibt, die weiterlebt? Und wenn doch,

was machen wir als Seele, die weder sprechen noch denken kann? Was, wenn die Seele

nur das Produkt eines physikalischen Prozesses ist, der vielleicht niemals aufhört, und

wenn doch, was änderte das schon? Was, wenn die Seele des Menschen sich in keinster

Weise von P anzen- oder Tierseelen unterscheidet, ja nicht einmal von primitivsten Erd-

bewohnern wie Amöben, Bakterien und Viren? Wenn der Mensch lediglich in der bevorzug-

ten Lage ist, all das zu denken und darüber zu sprechen? …wenn er nicht mehr als ein Zu-

fall der Evolution ist, eine Laune der Schöpfung, gar der Höhepunkt ihrer Verwirklichung,

sich einfach einmal selbst betrachten zu können…

Ist es da verwunderlich, daß er aus diesen unbegrei ichen und nie bezwingbaren Mächten

Göttinnen und Götter macht? Er könnte von Wahnsinn überkommen werden bei der Ge-

wißheit, nichts weiter zu sein als eine völlig unbedeutende Begleiterscheinung eines gigan-

tischen Chemielabors. Also hat er sich als Krönung der Schöpfung an die Spitze gestellt

und einen guten, gerechten Gott erfunden… nur um dem Wahnsinn zu entrinnen. Seine

Angst, das viele Denken raube ihm die Hoffnung, etwas Bedeutendes zu sein, hat die Welt

weder gut noch gerecht gemacht, nur den allzu Verzweifelten Quälen und Morden erlaubt.

So holt sich die Angst, was sie zum Existieren braucht, bis alles ausgemerzt ist, was einst

einen Funken Lebendigkeit in sich trug.

Alle wissen es! Zumindest, wenn sie schlafen und träumen. Nur wenige erinnern sich, wenn

sie am Morgen die Augen öffnen…

Wie mag es einst gewesen sein, als die Menschen allmählich aus ihrem gedankenlosen Zu-

stand erwachten und fragend ins Bewußtsein blickten? Haben sie die Wahrheit gekannt?

Instinktiv, ohne es zu wissen? Hat das beginnende Denken sie neugierig gemacht? Und sie

vorangetrieben, Fragen zu stellen und Antworten zu suchen?

Viel früher, als die Wissenschaftler meinen, haben sie den Lauf der Sterne studiert und

gleichzeitig die Vorgänge auf der Erde. Als sie am Himmel die Ekliptik entdeckten, sagten

sie: »Die Himmels-Schlange.« Als sie über Jahrtausende hinweg den auf- und absteigenden

Orion beobachteten und darin das Pendeln der Erdachse erkannten, sagten sie: »Der kos-

mische Tänzer.«

Als sie verstanden, daß all diese Dinge viel größer waren als die Menschen, wurden Göttin

und Gott erfunden: Göttin Sepa, die Schlange, und ihr Sohn Shiva, der Himmels-Tänzer.


Sie waren die Großen, die Ewigen, die seit je her existierten, währenddessen auf der Erde

alles dem Tod unterworfen war.

Warum fällt dem modernen Menschen die Vorstellung so schwer, daß bereits die ältesten

Ahnen der Steinzeit Sepa und Shiva am Himmel gesehen hatten? Wie sonst hätten Göttin

und Gott in den menschlichen Kopf kommen können? Die Großen am Himmel, die immer

noch da sind, die Ahnen aber längst tot.

Irgendwann wird auch der moderne Mensch ein Ahne sein. Ein Ahne, an den man sich erin-

nert oder einer, den man vergessen hat?

Weil Sepa, die Schlange, zuerst im Bewußtsein auftauchte, ist sie weiblich und folglich

Shiva ihr Sohn. Die Mutter gebiert neues Leben! Der Sohn tanzt auf ihrem Körper nach ih-

rem Rhythmus. Sie ist die Mächtige. Er tanzt Schöpfung und Zerstörung, nichts anderes.

Irgendwie mußten die Menschen doch benennen, was so mächtig war. Zum ersten Mal

wurde das Wort ausgesprochen: »Shiva«! Geburt und Tod. Der göttliche Sohn hatte einen

Namen. Shiva… Er verspricht kein Himmelreich, keine Erlösung! Ungeachtet aller Men-

schenangst tanzt er seinen kosmischen Tanz auf dem Rücken von Mutter Schlange.

Von was will der Mensch eigentlich so inständig und fortwährend durch alle Epochen hin-

durch erlöst werden? Von der grausamen Wahrheit?

Warum grausam? Immer tut die Wahrheit weh, straft den mit Schmerzen, der sie erblickt.

Also lieber blind als sehend. Denn ist erst einmal eine Wahrheit entdeckt, lauert schon die

nächste im Versteck. Es hört nie auf. Hinter der einen Wahrheit kommt die nächste und

wieder die nächste… Bis zur Wahrheit unserer Existenz.

Gänsehaut. Wer will das wirklich wissen? Schon die Fragen lösen Entsetzen aus. Was,

wenn mit dem Tod die immerwährende Finsternis auf einen wartet? Das endgültige

Nichts, für alle Ewigkeit?

Antworten auf solche Fragen müssen unerträglich sein…

Besser keine Fragen stellen. Oder die große Suche beginnt, eine Suche in unvereinbarer

Richtung: nach Trost und gleichzeitigem Sinn des Lebens…

Wie kann es einem menschlichen Wesen gelingen, beides zu nden? Den Sinn des Lebens,

der ihn ein wenig zu trösten vermag! Heben sie sich nicht gegenseitig auf, Sinn und

Trost? Denn: Hat einer den Sinn seiner Existenz gefunden, braucht er dann noch Trost?

Oder gerade dann?

Das Karussel setzt sich erneut in Bewegung…

Was, wenn das alles nicht stimmt mit den zuversichtlichen Prophezeihungen? Die Ge-

schichten von Erleuchtungen und Erscheinungen und Wundern und Erlösungen in Paradie-

sen… Alles nur phantastische Imaginationen des suchenden Geistes, der sich erklären will?

Lediglich gestaltgewordene menschliche Verzwei ung?

Was, wenn nach meinem Tod alles vorbei ist? Wenn nichts von mir übrigbleibt! Nicht ein-

mal das, was ich für meine Seele halte, weil ich sie in der Enge meiner menschlichen Hülle

so sehr mißverstand? Die menschbeschränkte Perspektive erlaubt halt nur einen kleinen

Ausschnitt auf das Leben. Genauso wie jedes andere Wesen in der Welt. Ein Hai nimmt

seine Umgebung bekanntlich völlig anders wahr, als das Menschnauge, das niemals sehen

kann wie das des Hais und umgekehrt.


Hier geht es bereits los mit dem großen Irrtum des modernen Mensch, der meint, er sei

am höchsten entwickelt. Er kann nicht sehen wie ein Hai! Und er weiß nichts über den Sinn

seines Daseins.

Seit Anfang des menschlichen Erwachens haben Göttin und Gott viele Kinder bekommen.

Ein wachsendes Chaos haben sie in die Welt gebracht.

War es am Anfang leichter zu sterben? Wann war dieser Anfang? Sind wir am Ende? Oder

nur mittendrin?

Orion hat gerade den Zenit seines Aufstiegs erreicht und wird bald seinen Abstieg begin-

nen; 13000 Jahre lang wird diese Wanderung nach unten dauern…

In den letzten Jahrhunderten hat es welche gegeben, die anscheinend leichter gestorben

sind. Mit welcher Glückseligkeit hat manch ein Märtyrer sein Leben gegeben? Sein Glaube

war offensichtlich so stark, daß ihm die Angst vor dem Sterben abhanden ging.

Was, wenn diese Märtyrer nur einem Wahn zum Opfer elen? Wahnsinn am Ende geistiger

Entwicklung…

Was, wenn das alles nicht stimmt mit den seligmachenden Visionen? Was, wenn in dieser

ganzen Ewigkeit zuvor nie eine Menschheit existiert hat und auch nach unserem Unter-

gang es nie wieder eine geben wird? Wenn überhaupt im ganzen Universum noch nie eine

andere Menschheit entstanden ist und nie eine andere entstehen wird?

Gänsehaut. Warum ist diese Vorstellung so schauerlich?

Nein, wir suchen weiter, glauben fest an die Existenz von Menschheitspopulationen auf

anderen Planeten. Eifrig tüftelt der Astrophysiker an der Technik, um irgendwann einmal

zu diesem fernen Planeten zu iegen…

Es ist nicht leicht, ein moderner Mensch zu sein, ein so hochentwickeltes Wesen. Die hohe

Entwicklung mißt sich mehr und mehr an der Zahl seiner Apparate, die ihn trösten sollen.

Die Zweifel haben sein Bewußtsein aufgefressen und langsam schläft er wieder ein…

Noch tanzt Shiva auf dem Höhepunkt seiner Schöpfungskraft, nur wenige Sekunden noch

bevor sein Zerstörungstanz beginnt…

Was hat das bloß mit dem Menschen zu tun? Kann Shiva ihm etwa nützlich sein? Kann er

ihm helfen, wenigstens leichter zu sterben?

Es gibt Menschen, die haben sich Shiva zum Verbündeten gemacht. Sie üben seinen Tanz.

Einmal zu besonderen Gelegenheiten laden sie ihn ein, mit ihren irdischen Menschkörpern

zu tanzen. Tänzerinnen und Tänzer lieben die wilde Besessenheit der Trance. Dort berühre

sie eine göttliche Kraft, sagen sie und lächeln verklärt.

Bestimmt sterben sie leichter. Bestimmt haben sie nicht so viel Angst wie wir. Sie haben

den Zustand kennengelernt außerhalb der Mauern ihrer Ego-Burg.

Ist das etwa der Weg zur Angstlosigkeit: Lernen, leichter zu sterben? Lernen, was ohne-

hin kein Entrinnen erlaubt. Die Kunst der Angstlosigkeit erlernen, weil einem nichts ande-

res übrig bleibt. Jeder muß sterben, jeder… jeder… auch ich!

Was sollen wir nun tun, wir modernen, fortschrittlichen Menschen? Können wir unsere

Geistigkeit ändern? Sollen wir uns als Menschheit eins fühlen oder als Einzelne weiterleben

bis wir sterben?


Als Menschheit stirbt es sich bestimmt leichter, als Einzelner hingegen ist man ganz allein

mit dem Tod.

Wie sollen wir leben? Was können wir tun im Zeitalter des einschlafenden Bewußtseins?

Warum rühren Stimmen im tiefsten Innern auf, dort, wo man noch nie gewesen ist? Sie

protestieren gegen das einschlafende Bewußtsein, rufen, alles zu tun, bloß nicht einschla-

fen!

»Warum nicht? Was ist schon so schlimm daran?« gähnen viele und versetzen die Stim-

mung im Innern in Panik.

»Nur nicht einschlafen!« schallt es aus allen Richtungen und dennoch nden die Worte nur

selten den Ausgang durch den Mund hinaus in die Welt. Dort draußen dann werden sie

kaum gehört und noch weniger verstanden…

Nur nicht einschlafen! Würde ich leichter sterben können, wenn die ganze Menschheit im

Chor vereint singt: »Nur nicht einschlafen! Nur nicht einschlafen!«

Was hilft es uns, nicht einzuschlafen, wenn Shiva seine Zerstörung tanzt? Fällt die Zerstö-

rung etwa schlimmer aus, wenn das Bewußtsein schläft, oder weniger schlimm, wenn es

wach ist?

Aber was hat das mit dem Tod des Einzelnen zu tun? Und seiner immensen Angst davor?

Kann er lernen, ohne Angst vor dem Tod zu sein, wenn er weiß, daß Shiva in 13000 Jah-

ren seinen Schöpfungstanz von neuem beginnt? Ändert das nur igendetwas an der Angst,

meiner Angst?

Verdammt, warum so viel ans Sterben denken, wenn man gerade lebt? Was für ein Le-

ben? Gefüllt mit Gedanken an den Tod…

Wahn-Sinn. Nicht Sinn des Lebens.

Zweifel sind das allerschlimmste, was der Mensch im Kopf haben kann, und es ist kein

Reich bekannt, wo Zweifel draußen blieben. Ist das wahr? Gibt es wirklich keinen Ort, wo

einem Zweifel nichts anhaben können? Und wenn doch?

Wieder nähert sich der Abend, die Sonne ist auf- und untergegangen ohne mich. Wer hat

ihr zugeschaut? Wieder schlafe ich ohne Antwort ein, wieder werde ich ohne Antwort

aufwachen am nächsten Morgen… Hatte ich etwa erwartet, auf solche Fragen eine Ant-

wort zu bekommen?

Wann werde ich endlich aufhören zu fragen und zu suchen, um einfach nur zu leben?

Wenn ich sterbe?

…Was bin ich? Bereits wahn-sinnig?


Zweifel:


Deutsches Universal Wörter Buch:

{der} »eigentl. = (Ungewißheit bei) zweifach(er Möglichkeit): Bedenken, schwankende Ungewißheit, ob

jmdm., jmds. Äußerung zu glauben ist, ob ein Vorgehen, eine Handlung richtig u. gut ist, ob etw. gelingen

kann o.ä.«


Etymologisches Wörter Buch:

{m.} »Bedenken an der Richtigkeit, Ungewißheit, Unsicherheit, Wankelmut, Untreue, Verzweiflung.«



 



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