Der Hausbesitzer
- Sylvie Bantle
- 21. März
- 9 Min. Lesezeit

Der Hausbesitzer
Mit strahlendem Gesicht geht er die belebte Straße entlang. Ein besonderer Tag!
Unter dem Arm trägt er eine Aktentasche, in der Tasche ist der Kaufvertrag.
Jeder soll es sehen! Was für ein schlauer Fuchs er ist. Deshalb ist sein Strahlen von
jener Sorte, die nach unten gerichtet ist. So sieht das Glück des Schlitzohrs aus. Er
blickt hinab zu den anderen, sieht sie weit, weit unter sich, denn jeden von ihnen
würde er mit Links in seine Tasche stecken.
Geld ist mächtig!
Noch vor einer halben Stunde saß er in einem der Büros im obersten Stockwerk
des Rathauses und schob dem Beamten zehntausend Mark in bar über den Tisch.
Das begehrte Kaufobjekt, ein Mietshaus der Jahrhundertwende im besten
Künstlerviertel der Stadt, war nämlich schon einem anderen versprochen worden.
Doch, Geld ist mächtig! Darum hat sich der Beamte bestechen lassen. Der wird die
Sache mit dem anderen schon regeln. Es ist bestimmt nicht das einzige
Immobilien-Schnäppchen im Land!
So eine Gelegenheit konnte er sich einfach nicht entgehen lassen! Nur eine Million!
Ein Schleuderpreis, die erstandene Immobilie ist mindestens das doppelte wert.
Man muß schnell handeln und darf bloß nicht zögern! So denkt der frischgebackene
Mietshausbesitzer munter vor sich hin und steuert auf das kleine Reisebüro an der
Ecke zu. Als erstes würde er sich eine ausgedehnte Reise nach Südostasien
gönnen. Ein bißchen Kultur, eine Brise Globetrottertum, danach stand ihm jetzt der
Sinn.
Er kauft sich Sonne und Arglosigkeit und zieht in abenteuerlicher Stimmung los.
Und während er mit seiner jungen Ehefrau, eine sanftmütige, aparte Rumänin, in
die Ferne iegt, rasseln die monatlichen Mieteinnahmen eigenständig auf das
heimatliche Giro-Konto. Ein stattlicher Lohn, ohne einen Finger zu bemühen! 14
Wohnungen im Vorderhaus, im Hinterhaus 6 und unten ein großes Altelier und
dazu 3 Garagen im Hinterhof…
Als erstes würde er die Mieten der Garagen erhöhen! beschloß er unterwegs,
irgendwo auf der exotischen Strecke zwischen dem Goldenen Dreieck und Java.
Dort wohnt er dem großen Begräbnisfest des letzten Königs bei. Irgendwo
unterwegs auf der exotischen Strecke zwischen dem Goldenen Dreieck und Java
hat er seine rumänische Frau an einem Beach abgesetzt - die Visum-Formalitäten
waren ihm zu anstrengend gewesen, besser er reiste allein nach Indonesien und
würde sie nach ein paar Wochen wieder abholen.
Daß sie dann vielleicht nicht mehr dasein könnte, so weit reichte seine Phantasie
nicht.
Er hatte noch nie ein Mietshaus besessen. Obwohl er sich bereits mehrmals
Hausbesitzer nennen konnte. Aber das waren Einfamilienhäuser gewesen. Als
praktizierender Architekt kannte er sich aus im Bau-Getriebe. Dementsprechend
lautete seine lukrative Philosophie: Der Zweck heiligt die Mittel! Er schreckte nicht
einmal vor Diebstahl zurück. Wer bewachte nachts schon eine Baustelle? Er stahl
von überall nur ein bißchen, dann el es nicht auf. So baute er ein Einfamilienhaus
und anschließend verkauft er es. Mit dem Geld baute er ein neues, noch größeres
Haus und nach drei Häusern war er für den großen Deal gewappnet. Nun nennt er
sich Millionär. Zumindest praktisch, immerhin kassiert er die Mieten. Theoretisch
gehört die Hälfte der Bank, aber wer kriegt schon so einen fetten Kredit? Was er
sich ergattert hat, ist was wert!
Verursacht neues Besitzertum solchen Rausch? Sein Dasein als Ehemann und
Mensch ging seinem Bewußtsein abhanden. Von der langen Reise kehrt er allein
zurück. Er hatte seine junge Ehefrau in einem wichtigen Moment im Stich gelassen.
Sie verließ ihn, seine Tränen vermochten sie nicht erweichen. Reumütig sucht er
Trost bei seinen besten Freunden. Darunter sind keine Hausbesitzer.
Wie unterwegs beschlossen, erhöht er die Mieten der Garagen - in diesem
Stadtviertel waren auch damals schon die Parkplätze so rar wie der Blick zum
Horizont. Eine Garage ist der pure Luxus in solchen Vierteln, das hat seinen Preis.
Als nächstes stürzt er sich in die Arbeit. Er baut drei Wohnungen zu
Dachterrassen-Wohnungen um! Jeden Quadratmeter des bis dahin ungenutzten
Flachdachs der Garagen machte er nun zur teuren Mietrendite. Zwei der
Wohnungen verkauft er zum Liebhaber-Preis, die obere behält er für sich und seine
neue Frau, die gerade sein erstes Kind erwartet. Der gute Preis ist doppelt gut,
aber das weißt das Finanzamt nicht. Die unzähligen Kumpel draußen in der
Kleinstadt seiner Kindheit waren sofort zur Stelle. Wer wollte schon auf lukrative
Schwarzarbeit verzichten! Mit ihnen hatte er die Einfamilienhäuser gebaut. Er
konnte auch diesmal wieder auf sie zählen, sie kannten sich aus und jeden Trick.
Wenn man weiß wie, kann man jede Behördlichkeit umgehen! Er prahlte gern damit
und immer öfter. Allmählich hatte er begonnen, sich den Freunden überlegen zu
fühlen, weil sie Besitzlose waren…
Schon baute er die nächste Wohnung aus - neue Investitionen machten die
Steuern verkraftbarer. Die alte Dachwohnung, in der er zuvor wie ein Globetrotter
gewohnt hatte, wurde zu einem wahren Architekten-Domizil umgebaut. Entgegen
zulässiger Bestimmungen hob er das Dach an, um eine ebenso unzulässige
Dachterrasse zu errichten. Damit keine feuerpolizeilichen Prüfungen stattfanden,
wußte er bei den betreffenden Stellen geschickt zu regeln.
Nach dem Umzug in die schicke Residenz über den Dächern herrschaftlicher
Altbaugegend, verkaufte er auch die letzte Dachterrassenwohnung vom
Hinterhaus zum stattlichen Preis.
Jetzt war er Wer!
Wer war dieser Wer? Er nahm sich nie Zeit, danach zu fragen. Früher schon, als er
vor seinen Millionen noch mit dem Rucksack nach Indien reiste.
Geld ist mächtig! Es hat ihn verhext. Eigentlich hat es schon vor langem begonnen,
als er sich in seine neue Frau verliebte. Sie wollte Ärztin werden!
Architekt und Ärztin! Was für eine ideale Koalition.
Sie war ehrgeizig. Weil sie aus einfachsten Familienverhältnissen stammte, hatte
sie sich vorgenommen, es einmal besser zu haben. Früh begriff sie, daß ein
Medizinstudium etwas hermachte, und später, daß die Augenärzte am meisten
abkassieren können. Also wurde sie Augenärztin. Daß indessen Zahnärzte auf Platz
Eins der Einkommen-Charts vorrückten, ärgerte sie mit anhaltender Macht und
raubte ihr zuweilen den Schlaf.
Der nicht unattraktive Architekt, der ein Mietshaus besaß, kam wie gerufen. Ohne
Mietshaus hätte sie ihn vermutlich nicht genommen…
Sie hatte es nicht leicht mit ihm in den ersten Jahren, als sie noch glaubte, sie
könne automatisch beides haben: Geld und Liebe! Die Liebe aber zeigte sich ihr in
schmerzhafter Gestalt - er behandelte sie wie seine Sklavin. Immerhin lohnte sich
die verlorene Hoffnung. Schon gleich nach abgeschlossenem Studium konnte sie
ihre eigene Praxis eröffnen - in bester Gegend. Sie hatte es zu etwas gebracht!
Mit der Zeit härtete sie allmählich von außen nach innen. Es el ihr nicht schwer.
Das Gefühl auszuschalten schien ihre große Begabung zu sein. Bei ihrem ersten
Kind übte sie eisern die Disziplin. Wer es sah, stutzte augenblicklich irritiert. Sie
wußte es zu genießen. Ihre Härte? Olympischer Triumph grub sich in ihre Züge. Mit
strengem Blick auf ihre Designer-Armbanduhr wieß sie daraufhin, daß erst in zehn
Minuten die Zeit zum Stillen sei. Indessen schrie sich ihr neugeborener Sohn die
Seele aus dem Leib. Er war x und fertig, wenn es endlich zur Brust ging. Exakt alle
vier Stunden ward ihm dieses Glück gewährt.
Heute ist der sensible Bursche knapp zwanzig Jahre alt. Den Kopf ängstlich
zwischen die Schulterngeklemmt, folgt er artig den Fußstapfen des Vaters. Der
hat inzwischen noch einiges angehäuft. Er wohnt jetzt auf einem der teuersten
Fleckchen der großen Stadt. Der Garten geht zum naturgeschützten Park hinaus,
lediglich getrennt durch einen eifrigen Bach, von dem er sich mitten in der großen
Stadt in den Schlaf plätschert. Wer ko, der ko! Aber oft hilft das nicht viel. Die
Zahlen drehen sich unablässig in seinem Kopf.
Elftausend Mark Zinsen müsse er jeden Monat an die Bank zahlen! brüllte er einmal
eine aufmüp ge Mieterin an, als verkrafte er diese Summe nicht angesichts der
Millionen, die er besitzt. Vor langer Zeit war sie seine engste Vertraute gewesen.
Genauso lange hatte er aufgehört zu argumentieren. Sie sollte ihn bemitleiden, ihm
dankbar sein, daß er solche Not auf sich nahm. Die Mieterin, eine leidenschaftliche
Lebens-Künstlerin, war nicht auf den Mund gefallen. Elftausend Mark Zinsen im
Monat muß man sich erst mal leisten können! konterte sie zurück. Keine Bank der
Welt würde ihr einen Kredit in solcher Höhe geben. So eine Summe muß man sich
erst einmal leisten können!
Es nützte nichts. Kein Argument konnte ihn zum Nachdenken bringen. Er habe den
längeren Arm! brüllte er mit entsprechender Geste. Die Drohgebärde vermochte
die Lebens-Künstlerin nicht einzuschüchtern. Sie war wütend, sehr wütend. Sie
rannte in die Wohnung zurück und schlug die Tür zu, sonst wäre sie ihm an den
Kragen gesprungen. Auch er war wütend, aber er ließ es sich nicht anmerken.
Stolz ging er davon, wie ein Gutsbesitzer im Wissen, daß die Macht auf seiner
Seite war.
Er wird es dieser Mieterin schon noch zeigen und sie mit einer Miet-Erhöhung in die
Schranken weisen…Er ist der Hausbesitzer! Wer ist die denn schon?! Er hingegen
besitzt drei Mietshäuser in den besten Gegenden der Metropole, einen Bungalow
am Park, weitere Mietshäuser - zu besten Konditionen in den neuen Ländern
erstanden, außerdem eine Villa und ein Kolonialhotel in Kapstadt. Er ist vielfacher
Millionär! Jedes seiner Kinder - obwohl noch nicht alle volljährig - haben bereits für
ihr Leben ausgesorgt. Das haben sie ihm zu verdanken!
Geld ist mächtig! denkt er täglich. Und, er ist einer der viel Geld hat. In nur zwanzig
Jahren hat er es zu diesem Vermögen gebracht! Das muß ihm erst einmal einer
nachmachen…
Seine Mieter werden nicht gefragt, sie kennen die Rückseite des Hausbesitzers und
sind längst froh, wenn sie ihn nicht zu Gesicht bekommen. Die Glühbirnen im
Treppenhaus wechseln sie auf ihre eigenen Kosten aus und vieles mehr. Ein
Hausmeister existiert nur auf der Betriebskosten-Abrechnung, ebenso der nicht
vorhandene Gärtner. Sie halten den Garten in Schuß, als wäre es ihr eigener. Sie
könnten so einiges erzählen!
Wenn er eine frei gewordene Wohnung umbaut und renoviert, helfen ihm die
Kumpel vom Land - bei größeren Modernisierungsarbeiten reisen polnische
Schwarzarbeiter an. Kein Kumpel vom Land würde für solchen Hungerlohn einen
Finger krümmen. Die Polen sind froh. Der ältere wegen Krankheit frühpensioniert,
der Junge darf was lernen. Der kluge Hausbesitzer bringt sie morgens und holt sie
abends ab. Sie schlafen im ausgebauten Keller seines Bungalows. Das ist die
billigste und sicherste Lösung. Manchmal schlafen sie sogar in der freien Wohnung,
die gerade umgebaut wird.
Fast könnte man meinen, die Mieter seien blöd, daß sie sich nicht rächen bei all
den Demütigungen. Meist fällt die schlecht gewartete Heizung im tiefsten Winter
aus. In der ganzen Stadt gibt es kaum mehr eine Firma, die zu Hilfe eilt. Wer
einmal da war, steht nun im gerichtlichen Prozeß mit dem Hausbesitzer, der die
Rechnung nicht bezahlt. Einmal stand der Keller unter Wasser, die Fernsehantenne
ist vierzig Jahre alt… es könnte endlos so weitergehen.
Geld ist mächtig!
Die Mieter sind nicht freiwillig blöd. Ist es das Gesetz, das sie zwingt? Der
verblaßte Traum von Gerechtigkeit? Gar die Realitätsnüchternheit? Die Demokratie
ist halt noch nicht ausgereift. Das sagt sogar der Mächtigste der Welt.
Ach, das bringt nur Ärger! seufzt die befreundete Richterin und überzeugt die
aufmüp ge Mieterin, jegliche Auseinandersetzung vor Gericht zu meiden. Sie
würde sich nie mit einem Hausbesitzer gerichtlich streiten! Meistens gewinnt
keiner und am Ende läuft es auf einen Vergleich hinaus. Sie ist Richterin am
Obersten Gerichtshof des Landes, sie muß es wissen.
Die aufmüp ge Mieterin reagiert ihre Empörung im Garten ab. So hat sie ihren
ersten Baum gefällt, allein und nur mit Hilfe einer kleinen Handsäge. Sie hat
geschuftet wie ein Tier und hinterher wurde ihr ein höchst befriedigendes Gefühl
beschert. Sie liebt den Garten. Seit fast zwanzig Jahren lebt sie hier, noch länger
kennt sie den Hausbesitzer, einst ein Freund…
Im Vergleich zu seinen Millionen hat sie es in dieser Zeit keinen Meter
weitergebracht mit ihrer Kunst! So reden seine Gedanken auf dem Heimweg auf
ihn ein. Sie haben sich selbständig gemacht, sich seiner Kontrolle entzogen. Aber
er fühlt sich stark. Denn sie sitzt noch immer in der kleinen, dunklen, kalten
Erdgeschoßwohnung. Sie könnte es sich nicht einmal leisten, diese Wohnung zu
kaufen! Er ist mächtig über sie. Er kann sie quälen, wenn er will. Mit einer Miet-
Erhöhung!
Eines Tages will er. Sie hat sich zu laut aufgelehnt gegen den Einbau neuer
Fenster, was er ‘Modernisierung‘ nennt, um die Mieten zu erhöhen. Innerhalb
weniger Monate hat er ihr gleich zweimal eine Miet-Erhöhung geschickt. Sie fand
das nicht gerecht und hat sich geweigert. Jetzt hat sie einen of ziellen Schrieb für
einen Gerichtstermin gekriegt: Klage mit stattlichem Streitwert. Jetzt sind zwei
hochbezahlte Rechtsanwälte damit beschäftigt, diesen Kon ikt zu lösen. Und nun
ist sie nicht nur gezwungen, blöd zu sein, sondern auch dazu, einen Rechtsanwalt
zu bezahlen! Sie wollte sich nicht streiten, deshalb hat sie auch Mieterschutz und
Rechtschutzversicherung verschmäht. Warum sollte sie so Unnötiges bezahlen?
Sie war weder in kriminelle noch illegale Tätigkeiten verwickelt. Wenn sie nichts
Unrechtes tat, wozu brauchte sie dann eine Versicherung für rechtlichen Beistand.
Zum Schutz ihres Rechts? Warum sollte sie Schutz brauchen, wenn sie doch im
Recht ist? Bekommt etwa nicht der Recht, der im Recht ist?
…der längere Arm! Macht vor Recht!
Ist diese Welt ein Irrenhaus?
Geld ist mächtig!
Es hat ihm den Kopf verdreht, sie wütend und die Gesellschaft kaputt gemacht.
Der Hausbesitzer fühlt sich übermächtig. Was wären die Mieter ohne ihn? Hah! Sie
würden auf der Straße sitzen! Was widerum ein leer stehendes Haus für ihn
bedeuten würde, kommt ihm nicht in den Sinn. Er kann nur heldenhaft denken: Ein
Hausbesitzer gibt den Mietern Lebensraum! So sieht er die Dinge. Das ist seine
Realität. Er hat das Geld, nicht sie!
So hat er schon tausendmal gedacht.
Der Hausbesitzer leidet an einer tückischen Kurzsichtigkeit, der Blick zum Horizont
ist verbaut. Mit jedem neuen Haus hat die Blindheit zugenommen. Er ist ein
Blinder, der regiert, zur reinen Freßmaschine mutiert. Außer Uberheblichkeit hat er
schon lange nichts anderes mehr verspürt. Der Reichtum hat ihn arm gemacht.
Geld ist mächtig! Zuerst löscht es das Leben aus und am Ende sich selbst, wenn
sonst nichts mehr übrig geblieben ist.
Geld ist mächtig.
Sie ist nicht aussichtlos, die vergiftende Situation, es gibt eine Lösung: das
Aussterben der Mieter!
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