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Frauen & Klo

  • Autorenbild: Sylvie Bantle
    Sylvie Bantle
  • 21. März
  • 8 Min. Lesezeit


Big Chapati! Small Chapati! Schweinefutter …


Ich war schon monatelang in Indien, sie kam spontan angereist, einem

Liebeskummer zu entfliehen. In Bombay am Flughafen nahm ich sie in

Empfang und gleich zur Begrüßung gingen die Possen los! Einen blei-

chen Oxford-Studenten im Schlepptau flatterte sie mir am ‘Arrival‘ entge-

gen. Beim Umsteigen in Kairo hatten sie sich kennengelernt und, die Göt-

ter wissen warum, Feuer gefangen.

Als Indien-Neulinge hatten sie gewohnheitsmäßig mit den typischen

Eingewöhnungsschwierigkeiten zu kämpfen. Hinsichtlich der Tischmanie-

ren befanden sie einhellig, die Inder seien unkultiviert wie Kannibalen. Sie

weigerten sich, mit den Händen zu essen, und verlangten partout nach

dem passenden Besteck!

»Fork and knife, please!«

Das klang in diesem Schmuddel-Ambiente wirklich äußerst komisch.

Der angesprochene ‘Waiter‘ hielt elektrisiert inne. Solcher Wortschatz war

ihm fremd. Mit den Händen malten wir Gabel und Messer in die Luft, und

das ganze Lokal gaffte verblüfft. Dann von plötzlicher Eingebung getrof-

fen, riss der Ober die Augen auf und wackelte aufgeregt mit dem Kopf wie

in einem Stummfilm. Er sauste zur Küche hinter der verbotenen Tür und

kehrte freudestrahlend mit einem antiken Stück verbeulten Blechlöffels

zurück, den er noch eben schnell an seinem Lungi sauber wischte, um

ihn Big-Chapati feierlich zu überreichen.

Seit dem ersten indischen Mahl hatten wir neue Namen: Big Chapati

und Small Chapati. Die folgenden Wochen wurden in Oxford-Englisch ge-

lacht. Simon wollte Kriegsberichterstatter werden und steckte voller Pfad-

finder-Ideale. Gerade hatte er sein Studium in Oxford begonnen. Die ers-

te schwere Indienkrise ereilte ihn bereits beim Besuch eines fahrenden

indischen Zoos, die zweite wegen der ‘village-toilets‘ in Goa.

Umsteigen in Mapusa und dort der unverzichtbare Besuch in der le-

gendären ‘Hanuman Ice-Bar‘. Beherrschungslos tranken wir uns durch

die Menucard und hockten später mit blubbernden Milkshake-Mägen im

überfüllten Bus Richtung Meer, eingequetscht zwischen schnatternden

Hühnern, Truthähnen und Marktfrauen. Reifenquietschender Halt in je-


dem Dorf. Und überall Bewohner außer Rand und Band, die kreischend

über den Bus herfielen und auf die Seitenwände eindroschen, bis er mo-

torenheulend wieder losfuhr.

»Sind die Inder alle übergeschnappt?«

Big Chapati empört über das Getöse, steckte neugierig den Kopf aus

dem Fenster. Genau in diesem Augenblick schoss eine Riesenladung

blaues Pulver hoch. Erschrocken zog sie den Kopf zurück – ein blaues

Gespenst blickte mich an, Augen und Mund aufgesperrt im Schreck. Je-

des Fenster wurde zur Zielscheibe, in wilder Reihenfolge flog buntes Pul-

ver herein. Die Insassen juchzten und schrieen, warfen das Aufgefangene

zurück, und noch dickere Pulverwolken kamen retour.

Als der Bus weiterfuhr, fingen sie an, sich gegenseitig mit Farbpulver

zu beschmeißen, lachten und grölten und freuten sich des Lebens – Ku-

ckucksnest auf indisch! Bei jedem Halt geschah dasselbe. Durchgedrehte

Dorfbewohner von außerirdischer Hautfarbe in grün, blau, rot, violett, pink

stürzten mit barbarischem Gelärme auf den Klapperbus, begruben ihn un-

ter bunten Pulverkaskaden und trommelten mit ihren Fäusten ekstatische

Rhythmen und neue Beulen in die Flanken. Ein indischer Bus muss das

aushalten, sonst ist er eben untauglich für dieses Land – was ebenso für

die Menschen gilt.

Keiner der farbenfroh eingestäubten Passagiere dieser verrückten

Fahrt war imstande, uns vernünftig zu erklären, was es mit dem Spekta-

kel auf sich hatte. Andauernd deuteten sie auf das Pulver und kicherten,

»Powder! … Powder only!« – Nur Pulver! Als hätten wir das nicht selbst

kapiert.

Kunterbunt gepudert erreichten wir Arambol. Es war bereits dunkel. Ein

Fischerjunge empfing uns freudestrahlend, als habe er einzig auf uns ge-

wartet, »Room? Nice room!«

Bei seinem Haus angekommen, führte er uns mit einer qualmenden

Kerusinfunzel in ein karges Lehmhüttenkämmerchen mit minimalistischer

Einrichtung: Es war leer! Bis auf einen morschen Palmstamm, der in der

Mitte des Raumes lag.

»Where are the beds?« fragten Big Chapati und Simon im Chor.


Ein grinsender Greis im Lendenschurz trat ein und ließ drei Bastmatten

zu unseren Füßen gleiten. In den farbverschmierten Gesichtern meiner

Reisebegleiter pures Unverständnis, »And toilet? … bathroom? … show-

er?» – man möge ihr doch zuerst Bad und Toilette zeigen, beharrte Big

Chapati.

Unterkünfte dieser Kategorie hatte ich zur Genüge trainiert. Für den

Gang zur nicht vorhandenen Toilette liegt eigens zu diesem Zweck ein di-

cker Holzknüppel griffbereit vor der Hütte. Damit geht man auf die Suche

nach einem stillen Örtchen – was gerade in Indien bisweilen ein schwieri-

ges Unterfangen darstellt. Allzu gern lässt man sich angesichts von

Strand und Palmendschungelidylle zu romantischen Ideen hinreißen. In

Wirklichkeit ist man praktisch nie allein.

Die erfolgreiche Ausführung des dringlichen Vorhabens in freier Natur

hängt daher vom Geschick ab, sich möglichst unauffällig zu verhalten und

beim Herumspazieren mit dem Holzknüppel keinerlei Absicht preiszuge-

ben. Ist dann ein Plätzchen für den geheimen Plan entdeckt, wird es kri-

tisch. Von da an zählt Flinkheit, Täuschungsmanöver sind nutzlos. Mit der

einen Hand die Kleidung, mit der anderen den Stock fest im Griff blitz-

schnell in Hockposition. Sputen! Der Geruch ist unvermeidlich und verrä-

terisch. Schon nach wenigen Sekunden grunzt es im Rücken – die

Schweine sind im Anmarsch! Da man so schnell gar nicht kann, ist es

folglich unmöglich, aufzustehen und zu fliehen. Indienprofis sind vorberei-

tet: die Keule schwingen und ausholen! Kondition ist erforderlich, in Eile

das Geschäft verrichten und gleichzeitig um sich schlagen. Keine Mama

hat einem das beigebracht.

Trotz Anstrengung und Ungemütlichkeit stellt sich bald Verständnis ein,

indische Schweine sind die Putzkolonne der Arme-Leute-Toiletten. Heiß-

hungrig stürzen sie sich auf alles, was stinkt. Am liebsten würden sie ei-

nem noch den Hintern abschlecken. Es hilft reichlich wenig, als Klügerer

nachzugeben und ein wenig zur Seite zu rücken, um den schlabbernden

Mäulern Platz zu machen. Das sind gierige, schnellfressende Schweine,

haben sofort alles aufgemampft. Unersättlich verlangt es sie nach mehr,

und zwar sofort! Der Knüppel ist pausenlos im Einsatz, sonst wird man

buchstäblich über den Haufen gerannt. Will man zu einem ertragreichen


Ende kommen, muss man sich eben steinzeitlichen Manieren bedienen.

Und dann? Man gewöhnt sich an die Prozedur und freundet sich mit dem

komischen Abenteuer an – hinterher hat man ausgiebig zu lachen.

Unsere erste harte Nacht in Arambol galt es tapfer durchzustehen. An

uns klebte mehrschichtig der bunte Brei. Das Gesicht, der ganze Körper

und die Kleidung vollgeschmiert mit Farbpulver, mussten wir ungewa-

schen zu ‘Bett‘ gehen. Weder Strom- noch Wasseranschluss gab es hier.

Der Brunnen stand, weiß Gott wo, draußen im Dunkeln und ein Bad oder

eine Toilette existierte nicht.

Gleich am nächsten Morgen begann ich mit entsprechendem Aufklä-

rungsunterricht. Es kam nämlich vor, dass die Schweine-Geschichte von

ahnungslosen Neuankömmlingen nicht gebührend ernst genommen wird.

Später rannten diese dann hysterisch umher, völlig fassungslos, weil das

mit den Schweinen tatsächlich stimmte. Deshalb wollte ich besonders

gründlich sein.

Die Familie, bei der wir wohnten, hatte in fortschrittlichem Ansinnen

etwa fünfzehn Meter hinter dem Haus drei aufrecht stehende Palmwedel

als ‘Toilet‘ in die Erde gerammt – ein in jeder Hinsicht ungenügender

Schutz gegen den Überfall hungriger Schweine und neugierige Blicke. Es

war also ratsam, lieber gleich in der Pampas das Glück zu wagen.

Die kleinlaute Verfassung unseres englischen Kriegsberichterstatters

bereitete mir ein wenig Sorge. In Gedanken sah ich ihn bereits mit der

Keule in einem Busch durchdrehen.

»Am besten immer auf einen Fluchtweg achten,« referierte ich, »nie-

mals zu tief irgendwo hineinkriechen …«

Beiläufig nahm er meine Instruktionen zur Kenntnis, behauptete gar,

das sei für ihn überhaupt kein Problem. Auch Big Chapati sah der Sache

heroisch locker entgegen, und den Holzknüppel in der Luft schwenkend,

marschierte sie als erste mutig los, »Ich muss mal – zu den Schweinen!«

Beunruhigend lang blieb sie weg. Bis sie außer Atem von ihrem Aus-

flug zurückkehrte. Im Gesicht ständig wechselnd Grimassen aus Schre-

cken und Kichern, schilderte sie ihr erstes Erlebnis mit der indischen Frei-

luft-Toilette. Ich lachte Tränen, indessen Simon in lethargischer Pose auf

der Schwelle kauernd, ernst und stumm vor sich hin glotzte.


Fortan hatten wir zwei Frauen unseren täglichen Schweine-Kampf-

Spaß, Simon blieb gnadenlos schweigsam. Sein tägliches Verschwinden

tarnte er mit dem lapidaren Vorwand, eine Runde zu joggen, und tat ge-

radeso, als sei er ein Außerirdischer, der eine regelmäßige Entleerung

nicht nötig hatte. Unsere Blödelei vermochte ihn weder mitzureißen noch

aufzutauen. Wir fingen an, ihn zu hänseln, löcherten ihn, ob er denn auch

schon bei den Schweinen gewesen sei.

»Yes.« antwortete er knapp und blickte zum Himmel, um die Wetterla-

ge zu prüfen.

»Und?« bohrten wir weiter und rückten ihm zur Pelle. Hat er denn gar

nichts zu erzählen?

»No problem!« gab er leicht genervt zurück, wandte sich wie von ei-

nem Impuls gerufen ab, um angeregt ein Stöckchen am Boden zu unter-

suchen.

Yes … no problem! Der komplette Schweine-Report eines Kriegsbe-

richterstatters. Hat er die Kampfschweine nicht gesehen? So sehr wir ihn

piesackten, mehr bekamen wir nicht von ihm, das Thema schien für sei-

nen Geschmack nicht spaßig zu sein.

Erst unsere Abreise bewirkte einen spontanen Stimmungswandel. Sei-

ne Freude, diesen rückständigen Ort endlich zu verlassen, versetzte ihn

in solchen Überschwang, dass er fröhliche Pfeif-Etüden intonierend, ne-

ben uns zum Bus marschierte. Das nächste Dorf wenige Kilometer süd-

lich war um ein paar Jahre fortschrittlicher. Wir mieteten ein kleines Häus-

chen am Strand inklusive eines Brunnens, dort eine mannshohe Mauer in

U-Form, das ‘Bathroom‘. Sogar eine ‘Toilet‘ gab es hier, hinter der Wohn-

hütte ein Holzverschlag auf Pfählen über zwei Bretterstufen zu betreten.

Überall tummelten sich auch hier die Schweine.

»Was sie jetzt wohl zu fressen kriegen, wo es richtige Toiletten gibt?«

sinnierte Big Chapati auf unserem Erkundungsstreifzug durch das Dorf.

»… natürlich dasselbe!«

»Was?«, siegessicher deutete sie auf die zwei Bretterstufen des Toilet-

tenhäuschens, das wir gerade passierten, »Und wie, bitte schön, sollen

die Schweine über diese zwei Stufen gelangen?«


Ich klärte sie auf, übertrieb ein wenig, damit der Schreck später nicht

so heftig wäre. Der Pfahlbau hatte nämlich einen Zweck! Der Boden dar-

unter, wohin ja alles plumpst, ist für die Schweine frei zugänglich. Dort

können sie bequem liegen und warten, bis ihnen eine frische Ladung auf

die Schnauze klatscht. Trotz meiner gründlichen Darlegung der ‘Indian-vil-

lage-toilet‘ stiftete die anschließende Praxis dennoch Aufruhr. Optimis-

tisch stapfte Big Chapati zum gegebenen Anlass hinters Haus, »Ich geh

mal zu den Schweinen!« – einen Holzknüppel brauchte man hier nicht.

Kurz darauf kam sie aufgelöst um die Ecke gerannt, »… I can‘t!«

stammelte sie, als sei ihr soeben ein Dämon begegnet.

»What‘s the problem?« war die gelassene Reaktion des Kriegsbericht-

erstatters, eben darin vertieft, mit dem Stöckchen schnörkelige Muster in

den Sand zu malen.

Aufgebracht fuchtelte sie Richtung Klohäuschen, das von einer Horde

grunzender Schweine regelrecht bestürmt wurde.

»I can‘t!« erklärte sie mit schriller Stimme, »These big eyes … looking

at me!«

»You can.« entgegnete Simon ohne seine Sandmalerei zu unterbre-

chen.

»I can not!« widersprach sie entschieden, sie ließ sich doch nicht für

dumm verkaufen – wer mochte das schon, von gierigen Schweineaugen

direkt unter dem Allerwertesten angestarrt zu werden?

»Why not?« fragte Simon und Big Chapati, wegen der Begriffsstutzig-

keit endgültig in Rage, schrie so laut, dass es das halbe Dorf hörte:

»I CAN NOT shit on their nose!!!«

Das malende Stöckchen in der Hand schielte Simon sie an.

»You must!« murmelte er und blickte zu den Schweinen hinüber. Dabei

muss die Erinnerung an etwas ganz Bestimmtes mit enormer Wucht in

sein Bewusstsein katapultiert worden sein. Denn auf einmal machte sich

der Schalk an seinen Mundwinkeln zu schaffen, »You must, otherwise …«

Rasch drehte er sich zum Boden – sein Gesicht wollte er verbergen.

Ein merkwürdiges Glucksen kam von dort und dann lautes Prusten. Baff

standen wir da. Immerhin war das Simons erster Lachanfall auf indischem

Boden – oder überhaupt sein allererster?


Kichernd inspizierten wir seine Sandkritzeleien etwas genauer: Eine

riesige Schweineherde!

»Den Rest sollen wir uns wohl denken!« gackerten wir vereint.

Big Chapati pflanzte sich direkt vor ihn hin, »Now YOU, Simon! Go and

try yourself! We watch!« – und wir brüllten los, diesmal zu dritt.



 

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