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FähreIn Den Westen

  • Autorenbild: Sylvie Bantle
    Sylvie Bantle
  • 21. März
  • 11 Min. Lesezeit


Auf der Fähre in den Westen (1-2005)


Es ist dunkel. Schemenhafte Gestalten sitzen dicht an dicht. Kein Platz ist mehr

unbesetzt. Dennoch berühren sich die Körper nicht, hinter losen Kapuzenmänteln

verborgen, von schwarzer Farbe. Gesichtslos hängen schwere Köpfe an steifen

Kragen, Rücken. Die Luft ganz ohne Temperaturen, ohne Regung, nichts bewegt

sich dort… - Ein leichtes Schwanken! …es wird nur im Innern gefühlt. Wasser!

Ich fühle Wasser. Ich höre Nasses. Es ießt nicht! Weil es steht. Ich aber ieße! Ich

sitze auf einem Kahn mit all den anderen. Wir gleiten dahin, fast lautlos. Es ist

Nacht. Leise schmatzend antwortet das Wasser. Die Bordwand küssend, ich stelle

es mir vor.

Das Boot ist nicht gar ohne Ziel, ein Fährmann stakt es gen Westen. Ich kann ihn

nicht sehen, er steht hinter mir. Ich weiß, daß er stakt, nicht rudert. Das Ohr er-

kennt den feinen Unterschied. Obwohl er hinter mir ist, weiß ich, daß er als einziger

nicht sitzt. Er steht. Einen langen dicken Stab in der Hand. Er kennt keine Eile, aber

den Weg.

Finsternis! Die Farbe der Ewigkeit ist dunkel… Sie hat sich auf der Wasserober ä-

che schlafen gelegt.

Menschen sitzen im Boot, es gibt kein anderes. Eine schweigende Gruppe, niemand

spricht. Alle scheinen in ihre eigene Welt versunken. Ich nicht. Ich schaue sie alle

an. Ihre Gesichter sind verborgen, aber die Umrisse ihrer kauernden Gestalten sehe

ich deutlich. Die Umrisse verraten ihr Alter. Ab jetzt ist es nicht mehr wichtig. Ich

erkenne sofort den Unterschied, ein junger Mensch kauert anders als ein alter.

Daran gibt es kein Zweifeln. Ich weiß es. Ich war auch einmal jung. Jetzt bin ich

zwar noch nicht alt, aber ein bißchen. Ich bin genau dazwischen, zwischen jung

und alt, gehöre weder zu den Alten noch zu den Jungen. Heute kauere ich anders

als früher. Später, wenn ich richtig alt bin, werde ich ganz anders kauern.

Kein Laut dringt aus einem Mund. Dennoch höre ich die Stimme eines alten Mannes

zwischen den Kapuzen schweben: »…am Ende aller Wege hat der Mensch den

Glauben an die Menschheit verloren…«

Es sind seine Gedanken, die ich hören kann! Er sitzt mir gegenüber. Von seinem

Gesicht ist nichts zu erkennen, hinter den Schatten der Kapuze gesunken, ein Loch

aus tiefer Schwärze.

»…der Glaube an die Menschheit…« murmelt sein Denken fort.

»Warum eigentlich?« frage ich zurück, »Warum muß das so sein?«

Ich bin mir nicht sicher, ob ein Laut aus meinem Mund heraus springt, wenn ich

spreche.


Die Gedanken des Alten reden weiter: »…ein Leben lang wollte ich ein guter

Mensch sein und jetzt sitze ich so da: bettelarm! …ich bin enttäuscht! Das Gutsein

hat mich nur ins Unglück gestürzt…«

Ich weiß nicht, ob die Antwort mir gilt oder ob er auch ohne mein Fragen so vor

sich hindenkt. Nichts verrät, ob auch er meine Gedanken hören kann. Es ist ihm

nicht anzusehen, ob er weiß, wie weit seine Gedanken aus ihm hinaus reichen, und

daß ich sie empfange.

Da höre ich einen anderen denken. Er ist auch noch nicht richtig alt. So wie ich. Er

spricht überhaupt nicht mehr über solche Dinge, hat vor langer Zeit schon das

Gutsein aufgegeben. Er ist Hausbesitzer geworden und nun steinreich. Es ist ihm

nicht anzusehen, denn er trägt den selben dunklen Umhang wie alle anderen. Frei-

lich, sein Geld konnte er nicht mitnehmen auf diese Reise, aber seine Gedanken.

Die ößen ihm ein, was er ist, was er geschafft hat. Er hat noch einen Glauben -

den Glauben, daß er was geworden ist.

»…ach was!« höre ich seine Gedanken deutlich, »Der Beste! Und der Mächtigste!

Das bin ich!«

»Und die anderen?« denke ich zurück.

»Die anderen? Das sind doch alles Idioten!«

Er hatte mir geantwortet! Vielmehr seine Gedanken den meinen. Offenbar kann

auch er Gedanken hören. Hausbesitzer sind ink.

Wieder wird meine Aufmerksamkeit woanders hin gelenkt. Diesmal ist es ein Ere-

mit. Der sitzt direkt hinter dem Hausbesitzer. Der Alte, der Hausbesitzer und der

Eremit blicken in meine Richtung ohne Gesicht. Sie sitzen vorn, im Bug, ich sitze

hinten, im Heck. Alle sitzen wir der Mitte des Bootes zugewandt. Diejenigen, die

hinten sitzen, blicken voraus, diejenigen, die vorn sitzen, blicken zurück. Ich blicke

in Fahrtrichtung, dort ist es ganz dunkel.

»Der Mensch…?« sagt der Eremit wie aus weiter Ferne fragend, »Was soll man

dazu sagen?«

Auch er kann Gedanken hören, denke ich und lausche.

»…ich habe sie schon vor langer Zeit verlassen, die Menschen… ach ja…« seine

Gedanken ießen fort.

Ein Mönch denkt in meine Aufmerksamkeit hinein. Ich höre. Den Glauben an die

Menschheit hat er bereits in der Jugendzeit verloren, deshalb ist er ins Kloster ein-

getreten. Dort traf er Gleichgesinnte, mit denen konnte er wenigstens für die

Menschheit beten…

Weder froh noch traurig ist er. Ich will ihn fragen, was er fühlt. Aber dann kann ich

seiner Geschichte nicht länger folgen, weil meine eigenen Gedanken mich ganz in

Beschlag nehmen.


»…siehst du nun, wie es geht?« Das Flüstern ist in jeder Zelle. »Hättest du bloß

aufgehört, von einem guten Menschen zu träumen! Es ist tatsächlich am klügsten,

egal ob man in der Welt lebt oder im Kloster, schleunigst den Glauben an die

Menschheit aufzugeben und sich stattdessen von den anderen zu holen, was es zu

holen gibt! Was du willst, kannst du kriegen. Alles kann man kriegen! Und je mehr

man kriegt, desto mehr sind die anderen die Nieten! …siehst du nun, wie es geht,

um am Glauben zu bleiben?! Es gibt nur einen, der nützlich ist und lohnt. Der Glau-

be, daß man der schlaueste von allen ist…«

Aber was denke ich da? Ich kann nicht mehr zurück ins Leben und Hausbesitzer

werden. Ich kann nichts mehr ändern an meinen vergeudeten Stunden. Es ist zu

spät, ich sitze auf der Fähre in den Westen und habe nichts…

…gar nichts, was ich mitbringen kann…

…außer meiner Enttäuschung.


Auf der Fähre in den Westen (2-28.4.2006)


Es ist dunkel. Schemenhafte Gestalten sitzen dicht an dicht. Kein Platz ist

unbesetzt. Dennoch berühren sich die Körper nicht, hinter losen Kapuzenmän-

teln verborgen, von schwarzer Farbe. Gesichtslos hängen schwere Köpfe an

steifen Kragen, Rücken. Die Luft ganz ohne Temperaturen, ohne Regung,

nichts bewegt sich dort…

Ein leichtes Schwanken!

…es wird nur im Innern gefühlt. Wasser!

Ich fühle Wasser. Ich höre Nasses. Es ießt nicht! Es steht. Ich aber ieße!

Ich sitze auf einem Kahn mit all den anderen. Wir gleiten dahin, fast lautlos. Es

ist Nacht. Leise schmatzend antwortet das Wasser. Die Bordwand küssend, ich

stelle es mir vor.

Das Boot ist nicht gar ohne Ziel, ein Fährmann stakt es gen Westen. Ich kann

ihn nicht sehen, er steht hinter mir. Ich weiß, daß er stakt und nicht rudert. Das

Ohr erkennt den feinen Unterschied. Obwohl er hinter mir ist, weiß ich, daß er

als einziger steht. Einen langen dicken Stab in der Hand. Er kennt keine Eile,

aber den Weg.

Finsternis! Die Farbe der Ewigkeit ist dunkel… Sie hat sich auf der Wasser-

ober äche schlafen gelegt.

Menschen sitzen im Boot, es gibt kein anderes. Eine schweigende Gruppe,

niemand spricht. Alle scheinen in ihre eigene Welt versunken. Ich nicht. Ich

schaue sie alle an. Ihre Gesichter sind verborgen, aber die Umrisse ihrer kau-

ernden Gestalten sehe ich deutlich. Die Umrisse verraten ihr Alter. Ab jetzt ist

es nicht mehr wichtig. Ich erkenne sofort den Unterschied, ein junger Mensch

kauert anders als ein alter. Daran gibt es kein Zweifeln. Ich weiß es. Ich war

auch einmal jung. Jetzt bin ich zwar noch nicht alt, aber ein bißchen. Ich bin

genau dazwischen, zwischen jung und alt, gehöre weder zu den Alten noch zu

den Jungen. Heute kauere ich anders als früher.

Kein Laut dringt aus einem Mund. Dennoch höre ich die Stimme eines alten

Mannes zwischen den Kapuzen schweben: »…am Ende aller Wege hat der

Mensch den Glauben an die Menschheit verloren…«


Es sind seine Gedanken, die ich hören kann! Er sitzt mir gegenüber. Von sei-

nem Gesicht ist nichts zu erkennen, hinter den Schatten der Kapuze gesunken,

ein schwarzes Loch.

»…der Glaube an die Menschheit…« murmelt sein Denken fort.

»Warum eigentlich?« frage ich zurück, »Warum muß das so sein?«

Ich bin mir nicht sicher, ob ein Laut aus meinem Mund heraus springt, wenn

ich spreche.

Die Gedanken des Alten reden weiter: »…ein Leben lang wollte ich ein gu-

ter Mensch sein und jetzt sitze ich so da: bettelarm! …ich bin enttäuscht! Das

Gutsein hat mich nur ins Unglück gestürzt…«

Ich weiß nicht, ob die Antwort mir gilt oder ob er einfach so vor sich hin-

denkt. Nichts verrät, ob auch er meine Gedanken hören kann. Es ist ihm nicht

anzusehen, ob er weiß, wie weit seine Gedanken aus ihm hinaus reichen, und

daß ich sie empfangen kann.

Da höre ich einen anderen denken. Er ist auch noch nicht richtig alt. So wie

ich. Er spricht überhaupt nicht mehr über solche Dinge, hat vor langer Zeit

schon das Gutsein aufgegeben. Er ist Hausbesitzer geworden und nun stein-

reich. Es ist ihm nicht anzusehen, denn er trägt den selben dunklen Umhang

wie alle anderen. Freilich, sein Geld konnte er nicht mitnehmen auf diese Reise,

aber seine Gedanken. Die ößen ihm ein, dass er stolz sein kann, weil aus ihm

etwas geworden ist. Er hat noch einen Glauben - den Glauben an sich selbst.

»…ach was!« höre ich seine Gedanken deutlich, »Der Beste und der Mäch-

tigste! Das bin ich!«

»Und die anderen?« denke ich zurück.

»Die anderen? Das sind doch alles Idioten!«

Er hatte mir geantwortet! Vielmehr seine Gedanken den meinen. Offenbar

kann auch er Gedanken hören. Hausbesitzer sind ink.

Wieder wird meine Aufmerksamkeit woanders hin gelenkt.

Diesmal ist es ein Eremit. Der sitzt direkt hinter dem Hausbesitzer. Der Alte,

der Hausbesitzer und der Eremit blicken in meine Richtung ohne Gesicht. Sie

sitzen vorn, im Bug, ich sitze hinten, im Heck. Alle sitzen wir der Mitte des

Bootes zugewandt. Diejenigen, die hinten sitzen, blicken voraus, diejenigen, die

vorn sitzen, blicken zurück. Ich blicke in Fahrtrichtung, dort ist es ganz dunkel.


»Der Mensch…?« sagt der Eremit wie aus weiter Ferne fragend, »Was soll

man dazu sagen?«

Auch er kann Gedanken hören, denke ich und lausche.

»…ich habe sie schon vor langer Zeit verlassen, die Menschen… ach ja…«

seine Gedanken ießen fort.

Ein Mönch denkt in meine Aufmerksamkeit hinein. Ich höre. Den Glauben

an die Menschheit hat er bereits in der Jugendzeit verloren, deshalb ist er ins

Kloster eingetreten. Dort traf er Gleichgesinnte, mit denen konnte er wenigstens

für die Menschheit beten…

Weder froh noch traurig ist er. Ich will ihn fragen, was er fühlt. Aber dann

kann ich seiner Geschichte nicht länger folgen, weil meine eigenen Gedanken

mich in Beschlag nehmen.

»…siehst du nun, wie es geht?« Das Flüstern ist in jeder Zelle. »Hättest du

bloß aufgehört, von einem guten Menschen zu träumen! Es ist tatsächlich am

klügsten, egal ob man in der Welt lebt oder im Kloster, schleunigst den Glauben

an die Menschheit aufzugeben und sich stattdessen von den anderen zu holen,

was es zu holen gibt! Was du willst, kannst du kriegen. Alles kann man kriegen!

Und je mehr man kriegt, desto mehr sind die anderen die Nieten! …siehst du

nun, wie es geht, um am Glauben zu bleiben?! Es gibt nur einen, der nützlich ist

und lohnt. Der Glaube, daß man der schlaueste von allen ist…«

Aber was denke ich da? Ich kann nicht mehr zurück ins Leben und Hausbe-

sitzer werden. Ich kann nichts mehr ändern an meinen vergeudeten Stunden. Es

ist zu spät, ich sitze auf der Fähre in den Westen und habe nichts…

…gar nichts, was ich mitbringen kann…

…außer meiner Enttäuschung.


Auf der Fähre in den Westen (3-5.5.2006)


Es ist dunkel. Schemenhafte Gestalten sitzen dicht an dicht. Kein Platz ist

unbesetzt. Dennoch berühren sich die Körper nicht, hinter losen Kapuzenmän-

teln verborgen, von schwarzer Farbe. Gesichtslos hängen schwere Köpfe an

steifen Kragen, Rücken. Die Luft ganz ohne Temperaturen, ohne Regung,

nichts bewegt sich dort…

Ein leichtes Schwanken!

…es wird nur im Innern gefühlt. Wasser!

Ich fühle Wasser. Ich höre Nasses. Es ießt nicht! Es steht. Ich ieße! Ich

sitze auf einem Kahn mit all den anderen. Wir gleiten dahin, fast lautlos. Es ist

Nacht. Leise schmatzend antwortet das Wasser. Die Bordwand küssend, ich

stelle es mir vor.

Das Boot ist nicht gar ohne Ziel, ein Fährmann stakt es gen Westen. Ich kann

ihn nicht sehen, er steht hinter mir. Trotzdem weiß ich, dass er nicht rudert, er

stakt, in der Hand einen langen Stab. Das Ohr erkennt den feinen Unterschied.

Und ich weiß, dass er als einziger steht. Er kennt keine Eile, aber den Weg.

Finsternis! Die Farbe der Ewigkeit ist schwarz… Sie hat sich auf der Was-

serober äche schlafen gelegt.

Menschen sitzen im Boot, es gibt kein anderes. Eine schweigende Gruppe,

niemand spricht. Jeder scheint in seine eigene Welt versunken. Ich nicht. Ich

schaue sie alle an. Ihre Gesichter sind hinter den Kapuzen verborgen, aber die

Umrisse ihrer kauernden Gestalten sehe ich deutlich. Die Umrisse verraten ihr

Alter. Ab jetzt ist es nicht mehr wichtig.

Kein Laut dringt aus einem Mund. Dennoch höre ich die Stimme eines alten

Mannes zwischen den Kapuzen schweben:

»…am Ende aller Wege hat der Mensch den Glauben an die Menschheit ver-

loren…«

Es sind seine Gedanken, die ich hören kann! Er sitzt mir gegenüber. Von sei-

nem Gesicht ist nichts zu erkennen, im Schatten der Kapuze verborgen, ein

schwarzes Loch.

»…der Glaube an die Menschheit…« murmelt sein Denken fort.

»Warum eigentlich?« frage ich, »Warum muss das so sein?«


Kein Laut verlässt meinen Mund, ich kann nicht mehr sprechen.

Die Gedanken des Alten reden weiter:

»…ein Leben lang wollte ich ein guter Mensch sein und jetzt sitze ich so da:

bettelarm! …nur reich an Enttäuschung! Das Gutsein hat mich bloß in Armut

gestürzt…«

Nichts verrät, ob auch er meine Gedanken hören kann, ob er weiß, wie weit

seine Gedanken aus ihm hinaus reichen, und dass ich sie empfangen kann.

Da höre ich einen anderen denken. Er ist noch nicht alt. So wie ich. Über

solche Dinge spricht er überhaupt nicht mehr, hat vor langer Zeit schon das

Gutsein aufgegeben. Er ist Hausbesitzer geworden und nun steinreich. Es ist

ihm nicht anzusehen, denn er trägt den selben dunklen Umhang wie alle ande-

ren. Freilich, sein Geld konnte er nicht mitnehmen auf diese Reise, aber seine

Gedanken. Die ößen ihm ein, dass er stolz sein kann, weil aus ihm etwas ge-

worden ist. Er hat noch einen Glauben – den Glauben an sich selbst.

»…ich habe aus meinem Leben etwas gemacht!« höre ich seine Gedanken

triumphieren, »Mächtig, das bin ich!«

»Und die anderen?« denke ich zurück.

»Die anderen? Das sind doch alles Idioten!«

Er hatte mir geantwortet! Vielmehr seine Gedanken den meinen. Offenbar

kann auch er Gedanken hören. Hausbesitzer sind ink.

Wieder wird meine Aufmerksamkeit zu einem anderen hin gelenkt. Diesmal

ist es ein Eremit. Der sitzt neben dem Hausbesitzer.

»Der Mensch…?« denkt der Eremit wie aus weiter Ferne fragend, »Was soll

man dazu sagen?«

Auch er kann Gedanken hören, denke ich und lausche.

»…ich habe sie schon vor langer Zeit verlassen, die Menschen… ach ja…«

seine Gedanken ießen fort.

Der Alte, der Hausbesitzer und der Eremit blicken in meine Richtung ohne

Gesicht. Sie sitzen vorn, im Bug, ich sitze hinten, im Heck. Alle sitzen wir der

Mitte des Bootes zugewandt. Diejenigen, die hinten sitzen, blicken voraus, die-

jenigen, die vorn sitzen, blicken zurück. Ich blicke in Fahrtrichtung, dort ist

nichts, nur Finsternis.

Ein Mönch denkt nun in meine Aufmerksamkeit hinein. Ich höre. Den Glau-

ben an die Menschheit hat er bereits in der Jugendzeit verloren, deshalb ist er


ins Kloster gegangen. Dort traf er Gleichgesinnte, mit denen konnte er wenigs-

tens für die Menschen beten…

Weder froh noch traurig ist er. Ich will ihn fragen, ob er jetzt zufrieden ist.

Doch plötzlich nehmen mich meine eigenen Gedanken in Beschlag:

»…siehst du nun, wie es geht?« das Flüstern ist in jeder Zelle, »Hättest du

bloß aufgehört, ständig von guten Menschen zu träumen! Es ist tatsächlich am

klügsten, egal ob man in der Welt lebt oder im Kloster, schleunigst den Glauben

an die Menschheit aufzugeben und sich stattdessen von den anderen zu holen,

was es zu holen gibt! Was du willst, kannst du kriegen. Alles kann man kriegen!

Und je mehr man kriegt, desto mehr sind die anderen die Nieten! …siehst du

nun, wie es geht, um am Glauben zu bleiben?! Es gibt nur einen, der nützlich ist

und lohnt: Der Glaube, dass man der schlaueste von allen ist…«

Aber was denke ich da? Ich kann nicht mehr zurück ins Leben und Hausbe-

sitzer werden. Ich kann nichts mehr ändern an meinen vergeudeten Stunden. Es

ist zu spät, ich sitze auf der Fähre in den Westen und habe nichts…

…gar nichts, was ich mitbringen kann… außer meiner Illusion von einem

guten Menschen.



 

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