Stein und Wasser
- Sylvie Bantle
- 25. März
- 4 Min. Lesezeit

»…was wollt ihr arroganten Steine?! Ihr liegt da seit tausenden, ja gar millionen Jah-
ren, beharrt stolz auf euer Stückchen Erde und rührt euch nicht vom Fleck! Würden wir
euch nicht ein wenig anschieben, ihr bewegtet euch kein bißchen weiter! Jedesmal, wenn
wir vorbei ießen, liegt ihr da wie am Boden festgewachsen in der immer gleichen Anord-
nung und rührt euch nicht. Ja, ihr seid unnahbar, obwohl wir euch berühren… man weiß
nicht, seid ihr fröhlich oder traurig… Vielleicht seid ihr gar tot?«
Höhnisch lachend gluckst der Bach über die Steine hinweg, die das Wasser in den
zahllosen Jahren rundgeschliffen hat, und singt unentwegt sein Lied. Es ist das Lied des
Wasser, das Lied vom Fließen, vom unentwegten Fortbewegen. »Weiter! Schneller! Immer
weiter…« ruft das Wasser einander zu, die Steine geben keinen Laut von sich. Stumm und
regungslos säumen sie den Lauf des Baches, sind unter ihm und neben ihm auf all den
vielen Windungen, sind sein Bett…
Alle hundert Jahre jedoch geschieht es, daß sich ein großes Unwetter zusammen-
braut, heftig stürmt und regnet es für lange Zeit. Dann wird aus dem fröhlich glucksen-
den Bach ein gefährliches Ungeheuer. Tosend stürzt nun das Wasser zu Tal und schiebt
grollend die schweren Steinbrocken vor sich her und zur Seite, läßt ihnen keine Ruhe
mehr zum steinernen Schlaf. Von dieser ungestümen Wucht kracht manchmal ein dicker
Felsbrocken vom Berg und bleibt oft mitten im Bach liegen, staut dort ganz ungewollt das
heranstürmende Wasser auf, das laut protestierend an ihm vorbei tobt.
»Weiter! Schneller! Immer weiter! Geh zur Seite! Laß uns vorbei…«
Jeder Schwall macht sich sodann eifrig daran, den steinernen Koloß zu bearbeiten,
der still ausharren muß. Was kann er schon tun? Nicht einmal protestieren! Das Wasser
läßt ihn nicht in Ruhe. Nur während seines Fallens vom Berg hatte er Laute von sich ge-
geben, wütendes Poltern, zorniges Krachen, böses Donnern…
Jetzt liegt er wieder da, bewegungslos und stumm, für lange Zeit und will seine
Ruh. Für das Wasser ist das eine unerträgliche Ewigkeit, für den Stein nur ein kurzer Au-
genblick. Dort, wo er hin el, liegt er jetzt und schweigt, vielleicht die nächsten tausend
Jahre. Manch so ein abgespaltener und vom Wasser tracktierter Felsbrocken konnte schon
Millionen Jahre so daliegen, in völliger Versteinerung, stimmlos und scheintot!
Im Laufe dieser Ewigkeit kann es auch geschehen, daß ohne ersichtlichen Grund die
Erde bebt und mit einem Weltuntergangsgebahren einen Berg einfach in zwei Teile
sprengt. Alles stürzt hinunter, Wasser, Steine, Bäume und sogar dicke Blöcke von Felsen.
Taumelnd fällt das Wasser samt seinem Bett aus schwindelnder Höhe tiefer und tiefer und
weiß nicht wie tief. Und platschend unten angekommen, sucht es verwirrt und aufgeregt
einen neuen Weg. Es gräbt eine Schlucht, ahnungslos, wohin es die Schwerkraft führt. Da
rufen und schreien die verirrten Wasser sich zu:
»Schneller! Fester! Weiter! Weg mit euch…«
Sie stoßen die Steine vor sich her, schimpfen und uchen, wenn sie mit gemeinsa-
men Kräften einen besonders trägen Brocken zur Seite wälzen. Jubeln und Springen,
wenn sie Glück hatten, und voller Ungeduld, wenn sie der nächsten steinernen Hürde
entgegen rennen. Eine hüpfende Gischt frißt sich durch das Land. Nicht selten blubbern
sie mit den Luftblasen um die Wette, wenn sie von einer Klippe herab fallend gemeinsam
in einem angestauten Becken landen.
»Was ist Los? Geht es nicht mehr? Weiter! Weiter!« rufen die Wassertropfen und ge-
raten in Panik. Sie drängen vorwärts, wirbeln erwartungsvoll der Gischt hinterher, fallen,
iegen, springen empor…
Wieviele Wassertropfen mögen es wohl schon gewesen sein, die sich bei solchen
Luftsprüngen in eine Luftblase verliebten und in inniger Umarmung zu den Wolken hin-
auf gezogen wurden? Wieviele Male mögen sie den Rausch des Eins-seins in ihrem zeitlo-
sen Wasser- und Luftleben bereits erlebt haben und können sich doch nicht mehr erin-
nern? Wie oft schon haben sie dort oben zusammengedrückt gesessen, auf dem dampfen-
den Schiff langsam über die Welt schwebend, und verwirrt zum Ursprungsort ihrer Verei-
nigung zurückgeblickt…
Doch auf einmal wird es dem Wassertropfen unbehaglich. Eine merkwürdige Sehn-
sucht spaltet sein Herz, wenn er zum Bach hinabschaut und die anderen Wassertropfen
dort unten beobachtet. Schleichend befällt ihn Neid, je länger er mitansehen muß, wie sie
mit lautem Jubelgeschrei über die Felsbrocken hinweg brausen, wie sie in Ekstase schrei-
en…
»Weiter! Weiter! Los, juchhe…«
Ansteckt vom Bewegungsrausch seiner Artgenossen will der luftverliebte Wasser-
tropfen von der Wolke springen. Doch die Luftblase hält ihn fest. Er mag es sich noch so
sehr wünschen, aus eigener Kraft kann er sich aus der Umarmung nicht befreien. So eng
aneinander gebunden sind sie nicht mehr, was sie waren, lediglich Aushalten und Warten
bleibt ihnen dann zum Zeitvertreib. Das Gesetz der Elemente bestimmt, nicht sie selbst
entscheiden, wann sie sich wieder trennen und auseinandergleiten.
Zur Einheit verschmolzen sitzen sie wie einverstanden auf dem Luftschiff und
träumen schon bald von verschiedenen Welten. Der Wassertropfen drängt hinab zur Erde,
um mit den anderen Flüsse und Seen zu formen, die Luftblase hingegen will nichts lieber
als noch höher und weiter zu iegen.
So geht es dahin. Die Träume. werden zum unentrinnbaren Ziel, das immer uner-
träglicher wird, je länger es unerreichbar bleibt.
Spätestens, wenn es in rasantem Sturz (Fall) wieder hinunter geht zurück zur Erde,
fühlt es jeder Wassertropfen (die Freiheit der Bewegung), er ist wieder er selbst… ist, was
er ist: Wasser!
und jubeln immer lauter ihr Lied hinaus:
»…wie frei sind wir! Wir ießen wohin es uns gefällt… schieben und bewegen Steine
und Erde, verändern das ganze Land nach unserer Laune…«
Comments